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Berlin: Die Flagge der ganzen Welt

Die spanische St.-Afra-Gemeinde trauert um die Opfer von Madrid. Pfarrer Emilio Muñoz Pozo erbittet den Segen – auch für die Täter

SONNTAGS UM ZEHN

Durch die bunt verglasten Fenster strahlt hoffnungsvoll goldgelbes Licht in die St. Afra-Kirche in Wedding, doch viele Menschen in den Sitzbänken haben Tränen in den Augen. Am steinernen Altar hängt die spanische Flagge mit einer Trauerschleife. Drei Tage ist das Attentat in Madrid nun her, bei dem 200 Menschen getötet und 1500 Menschen verletzt wurden. „Die Flagge ist heute nicht die Flagge Spaniens“, sagt Pfarrer Emilio Muñoz Pozo zu Beginn der Messe für die spanischsprachige Gemeinde. „Es ist die Flagge der ganzen Welt, an der die Trauerschleife festgemacht ist.“ Dem 67-Jährigen scheint das Sprechen schwer zu fallen, immer wieder hält er inne, sucht nach den richtigen Worten. „Es gibt Menschen, die haben kein Herz“, sagt er irgendwann schlicht. Doch während der Messe erbittet er den Segen nicht nur für die Opfer des Attentats und für ihre Angehörigen, sondern auch für die Täter. „Christus sprach am Kreuz: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Für die Predigt hat Muñoz Pozo eine Stelle aus dem Buch Exodus gewählt. Gott spricht zu Moses am Fuß des Berges Horeb. „Ich habe das Elend meines Volkes, das in Ägypten ist, wohl gesehen und ihr Schreien über ihre Treiber habe ich gehört; ja, ich kenne sein Leiden. Darum bin ich herabgestiegen, um es aus der Gewalt der Ägypter zu befreien und aus diesem Land herauszuführen in ein schönes und geräumiges Land...“ So werde Gott auch die Welt aus der Gewalt des Terrors führen, sagt Muñoz Pozo. Dann werde Respekt vor der Freiheit des anderen herrschen. Die einfache Botschaft der Nächstenliebe ist die Antwort, die jeder Einzelne auf den Terrorismus geben müsse, ist das Hauptanliegen der Predigt. Jeder müsse in all seinem Handeln Güte walten lassen, sagt Muñoz Pozo zum Abschluss der Messe noch einmal. „Und jede Tat ist wie ein Sandkorn, so dass sich langsam ein Strand der Güte auf der Welt ausbreitet.“

Nach der Messe treffen sich die Gottesdienstbesucher wie immer zum Kaffee im Gemeindesaal. An der Decke hängen noch die Girlanden von Silvester. Doch an vielen Tischen beherrscht der Schock des Anschlags die Stimmung, auch wenn scheinbar niemand Freunde oder Verwandte verloren hat. „Aber das ist ja nicht nur für uns Spanier schrecklich“, sagt eine Frau. „ Ich habe gestern im Fernsehen den Marsch der Berliner zur Spanischen Botschaft gesehen. Und wie viele Menschen dort Blumen abgelegt haben – unglaublich.“ Ihrem Nachbarn steigen bei der Erinnerung an den Donnerstag die Tränen in die Augen. „Es ist absurd, was diese Menschen getan haben“, sagt der 59-Jährige. Er könne es nicht fassen. „Deshalb bin ich auch heute hier. Normalerweise gehe ich sonntags nicht zur Messe.“ ase

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