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Berlin: Die Grünen entdecken die „Was-guckst-du-Fraktion“

Rechtspolitiker Volker Ratzmann rückt vorsichtig vom Multi-Kulti-Konzept ab und kritisiert seinen Parteifreund Günter Piening, den neuen Berliner Ausländerbeauftragten

Herr Ratzmann, Sie fordern jetzt die verstärkte Integration von Ausländern. Ist das grüne MultiKulti-Konzept gescheitert?

Das Konzept ist nicht gescheitert. Aber Kulturenvielfalt allein reicht nicht. Kulturelle Reibungen haben zu Problemen geführt, gerade im schulischen Bereich. Davor verschließen wir die Augen nicht. Allen Beteiligten muss deshalb etwas abverlangt werden. Und es muss etwas Gemeinsames geben, das verbindet – Sprache, wirtschaftliche Perspektiven und die Verständigung auf demokratische Spielregeln, die Basis einer pluralistischen Gesellschaft.

Also doch ein grüner Kurswechsel?

Nein. Kein grüner Kurswechsel, sondern eine Anpassung unserer Politik an die gesellschaftliche Entwicklung. Es sind doch letztlich die sozialen Probleme, die zu Reibungen führen. Das müssen wir lösen. Sonst verlieren wir eine ganze Generation junger Menschen, die für die Entwicklung dieser Stadt unabhängig von ihrer Herkunft unverzichtbar sind.

Die rot-rote Koalition hat sich doch gerade die Integration mit dem Schwerpunkt Bildungsförderung auf die Fahnen geschrieben. Was haben Sie also gegen dieses Konzept?

Der Senat hat kein schlüssiges Gesamtkonzept für die zentrale Aufgabe Integration. Jede Senatsverwaltung wurschtelt für sich alleine. Es fehlt das Bekenntnis des Senats, dass Berlin eine Stadt ist, die Zuwanderung braucht, will und gestaltet.

Wie könnte ein solches Konzept aussehen?

Eine Hauptaufgabe der Integration ist es, den Menschen zu zeigen, dass sie in dieser Stadt gewollt sind und sich ökonomisch entfalten können. Es muss darum gehen, Bildungs- und Ausbildungschancen zu fördern. Nur so können wir die ökonomische Integration und Gleichberechtigung schaffen. Und da sehe ich nicht, dass der Senat den richtigen Kurs fährt. Im Gegenteil. Die Gebührenerhöhungen für die Kitas sind das absolut falsche Signal. Was wir für die Integration brauchen, ist eine kostenlose und gezielte Sprachförderung im vorschulischen Bereich. Stattdessen setzt der Senat die Zukunft der nächsten Generation und damit der Stadt auf’s Spiel – für gerade mal zwölf Millionen Euro Einsparungen. Ohne ausreichende Sprachkompetenz hat kein Kind eine Chance, egal aus welchem Land seine Eltern kommen. Die meisten deutschen Eltern, die über viele Kinder mit Migrationshintergrund in den Klassen besorgt sind, sind ja nicht fremdenfeindlich, sondern wollen die bestmögliche Bildung für ihre Kinder. Dann kann man auch Eltern dazu bringen, sich in der Sprachförderung ihrer Kinder zu engagieren.

Eben das ist es doch, was gerade Innensenator Körting massiv eingefordert hat: Eltern, die die Integration ihrer Kinder unterstützen.

Aber Körting verkennt dabei völlig, dass es dazu auch der Entwicklungsmöglichkeiten bedarf. So wie seine Ausländerbehörde mit den Menschen umgeht, braucht er sich nicht zu wundern, dass viele keine Perspektiven sehen und sich nicht engagieren. Das ist Abschreckungspolitik statt Integration.

Aber nur an der deutschen Gesellschaft und an der Ausländerbehörde wird es doch nicht liegen. Sie selbst sagten doch gerade, dass von beiden Seiten etwas verlangt werden muss.

Ich sage ja, die Augen vor den Problemen nicht verschließen. Ich erwarte von allen den Versuch, die Sprache zu erlernen – auch im eigenen Interesse – und sich im Rahmen demokratischer Spielregeln zu verständigen.

Mit Appellen zur Einhaltung der Spielregeln kann es doch nicht getan sein – etwa mit Blick auf die ausländische Jugendkriminalität.

Ja. Akzeptanz kultureller Hintergründe mit der Akzeptanz von so genannter ausländischer Jugendkriminalität gleichzusetzen, führt in die Sackgasse. Aber Kriminalität von Jugendlichen in der zweiten oder dritten Generation ist doch kein „Ausländerproblem“. Das ist ein Problem dieser Gesellschaft. Und dabei hilft das Kriterium Ausländer meist nicht viel weiter. Dieses Problem lösen wir nicht durch Abschiebung.

Wie, es hat also mit dem ausländischen Hintergrund nichts zu tun?

Nur indirekt, die Gründe sind sozialer Art: ökonomische Perspektivlosigkeit, das fehlende Gefühl der Akzeptanz und daraus folgend dann eine subkulturelle Abschottung.

Und da bleiben sich die Grünen treu: keine härteren Gesetze, keine früheren staatlichen Eingriffe?

Doch, frühere Eingriffe wollen wir: mit dem Zuwanderungsgesetz, mit einer Förderpolitik, die den Grundstein für Erfolg legt. Dabei sind wir aber nicht so blauäugig zu sagen: Jeder darf sich hier ohne Rücksicht auf andere benehmen, wie er will. Uns sind die Probleme mit der „Was-guckst-du-Fraktion“ sehr wohl klar. Straftaten sollen sanktioniert werden. Aber das ist keine Integrationsarbeit, sondern Kriminalitätsbekämpfung.

Nun hat dieser Senat ja mit Günter Piening einen neuen Ausländerbeauftragten aus dem grünen Lager. Nützt das auch nichts?

Nein. Ich vermisse seine Stimme in der Debatte der Stadt. Bei seinem flüchtlingspolitischen Hintergrund hätte ich schon erwartet, dass er sich zu einer sehr fragwürdigen Abschiebung in den Kongo äußert. Ich hätte mir seine Stimme auch bei der verfehlten Umstrukturierung der vorschulischen Bildung gewünscht. Aber nichts. Stille.

Die Probleme in Berlin sind gewiss nicht nur hausgemacht. Sollten Sie nicht eher ihre Parteifreunde in der Bundesregierung kritisieren?

Die müssen jetzt dranbleiben, damit der Zuwanderungskompromiss nicht weiter verwässert wird. Ich hätte mir mehr gewünscht, weniger ist nicht hinnehmbar. Ich befürchte sogar, dass das Gesetz im Vermittlungsausschuss so verhackstückt wird, dass vom Grundgedanken nicht mehr viel übrig bleibt – gerade jetzt, wo Beckstein nach der Bayernwahl der Kamm schwillt und bei dem Hang der SPD zu großkoalitionären Lösungen, besteht diese Gefahr. Ich kann meine Parteifreunde nur warnen, Verschärfungen im humanitären oder im Sicherheitsbereich zu akzeptieren. Damit würden wir unseren Kredit als Bürgerrechtspartei auf Jahre verspielen.

Warum setzen Sie gerade jetzt dieses Thema?

Zuwanderung und Integration sind Zukunftsthemen. Wir wollen, dass der Senat sich im Interesse der Stadt dafür einsetzt, dass das Zuwanderungsgesetz mit seinen jetzigen Möglichkeiten in Kraft tritt. Und wir müssen jetzt aufpassen, dass der Senat mit seiner Sparpolitik nicht die letzten Potenziale dieser Stadt zerstört. Ein ausgeglichener Haushalt allein wird uns in zehn Jahren wenig nützen, wenn wir jetzt die notwendigen Zukunftsinvestitionen verpassen.

Das Gespräch führte Barbara Junge

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