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Berlin: Die Kirche des Wunderheilers

In Blankensee bauten Anhänger der Johannischen Kirche von Joseph Weißenberg die Friedensstadt. Der Meister wird bis heute verehrt

Ein gütiger Großvater? Ein väterlicher Handwerksmeister? Auf Fotografien aus den frühen 30er Jahren schmunzelt Joseph Weißenberg in die Kamera: ein Mann mit Schiffermütze, groß und kräftig und mit Händen, die auch einen Hammer fest packen können. Doch es umringen ihn keine Enkel oder Lehrlinge. Joseph Weißenberg steht zwischen Berlinern, die ihn hoffnungsvoll anschauen. Er ist ihr Kirchengründer, ihr Hellseher und Wunderheiler. So verehrten diesen Mann in den letzten Tagen der Weimarer Republik rund 100000 Anhänger in 400 Gemeinden überwiegend im Raum Berlin und Ostdeutschland.

Im Volksmund hatte Joseph Weißenberg seinen Spitznamen weg, man nannte ihn den „Weißkäseheiler“. Und manche warnten vor dem falschen Heiligen. Heute hat seine Kirche 3000 Mitglieder, ein Hotel und Café in einem alten Palais in BerlinDahlem, das St.-Michaels-Heim – und ihren Hauptsitz in Blankensee. Hier leben etliche Gläubige in der „Friedensstadt“, eine der größten privaten Kirchensiedlungen Europas.

Joseph Weißenberg wurde 1855 in Schlesien geboren. Er lernte Maurer, ging 1882 nach Berlin und machte dort ab 1903 von sich reden: als Hellseher, „Gesandter Jesu“ und Wunderheiler, der böse Geister durch Händeauflegen vertreibt und Hausmittel wie weißen Käse verschreibt. Offenbar besaß er die Kraft der Suggestion, das bezeugen viele Dankesbriefe. Der Ansturm war so groß, dass er sogar briefliche Fernheilungen ausführte („Gott zum Gruß, ich wirke ein“). Schließlich gründete er 1926 seine eigene Kirche – die Evangelisch-Johannische Kirche, benannt nach der Offenbarung Johannes, die eine neue Welt Gottes verheißt.

Weißenberg wollte den Auftrag der Bergpredigt verwirklichen und fordert „Achtung gegenüber Andersgläubigen“. Deshalb gilt seine Kirche als liberal. Ihr spannendstes Kapitel hatte allerdings schon vor der Gründung begonnen: 1920 sagte ihr Meister die Inflation voraus und kaufte mit dem Geld vieler Anhänger Ödland in Blankensee.

Als Schwestern und Brüder wollten die Gläubigen in der geplanten Friedensstadt zusammenleben. Innerhalb von zehn Jahren errichteten sie in am Fuß der Glauer Berge 50 Häuser für 400 Bewohner. Und für ihr Gotteshaus entwarf der einstige Maurer Weißenberg ein hölzernes Hallendach, genagelt aus 14000 Schalbrettern.

Im Jahre 1935 kam das jähe Ende. Die Nazis lösten die Siedlung auf, in die Friedensstadt zog eine SS-Schule ein, Joseph Weißenberg starb 1941 in der Verbannung.

Zu DDR-Zeiten durften seine Anhänger ihre Kirche nutzen, doch in der Friedensstadt lebten Sowjet-Soldaten. Mitte der 90er Jahre erhielt die Johannische Siedlung ihren Besitz zurück. Und ihren Gründer verehrt die Gemeinde wie eh und je – die Büste des Meisters steht neben dem Altar.cs

www.johannische-kirche.de und www.johannisches-sozialwerk.de

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