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Berlin: Die nette Frau Ehrgeiz

Gesang, Theater, Film, Karriere und Kind: Was Anna Loos anpackt, gelingt. auch im Musical

„Egal wann“, fleht die ältere Dame an der Kasse der Bar jeder Vernunft um eine Karte für „Cabaret“. Und hat Glück – Einzeltickets gibt es noch für den MusicalKlassiker. Seit vergangenem Oktober ist er in dem nostalgischen Spiegelzelt in der Schaperstraße ständig ausverkauft. Die junge Frau, die dort gerade abgehetzt hineinhuscht, wird von der glücksstrahlenden Kartenbesitzerin nicht gesehen. Und ob sie in der blassen Blonden in engen Jeans, Turnschuhen und legerer Kapuzenjacke die glamouröse Sally Bowles aus dem Kit-Kat-Club der Berliner 30er Jahre erkannt hätte?

Etwa 120 Mal hat Anna Loos sich nun schon in der Bar jeder Vernunft in die lebensgierige Hauptdarstellerin aus „Cabaret“ verwandelt. „Anna ist Sally Bowles, wie sie leibt und lebt“, lobte zur Premierenfeier Suzanne von Borsody die Kollegin überschwänglich.

Am 1. Mai öffnet Kit-Kat-Club vorerst zum letzten Mal. „Eigentlich bin ich erst jetzt richtig Sally Bowles“, sagt Anna Loos in der halbdunklen Bar jeder Vernunft. Hier ist sie in den vergangenen Monaten immer mehr in die Rolle hineingekrochen, die seit der „Cabaret“-Verfilmung 1973 weltweit als Sally Bowles das Gesicht von Liza Minelli hat. Deren fast übermächtiger Schatten schreckte die Wahl-Berlinerin aus Brandenburg aber nicht, auch nicht die Kehlkopfentzündung zwei Wochen vor der Premiere – und inzwischen lobt auch ihr härtester und ehrlichster Kritiker uneingeschränkt ihre Umsetzung der „Sally“. Beurteilen kann er das – sieben Mal hat sich der Schauspieler Jan Josef Liefers schon Anna Loos angesehen, wenn sie in roter Perücke und knapp geschürzt von der winzigen Bühne herab verrucht ins gedrängt sitzende Publikum haucht: „Bye, bye, mein lieber Herr.“

Mit Jan Josef Liefers ist die 34-Jährige seit August 2004 verheiratet. Zur Hochzeitsreise reichte die Zeit des viel beschäftigten Ehepaars noch nicht, dafür hat es seit 2002 aber schon eine Tochter. Für Lilli blieb die junge Schauspielerin ein ganzes Jahr daheim. „Meine neue Mutterrolle machte mich glücklich, aber die Arbeit fehlte mir auf Dauer“, sagt Anna Loos. Sie sei nämlich superehrgeizig. Die Familiengründung hindert sie daran nicht. Das Kind geht in den Kindergarten, der Vater schleppt Wasserkästen, die Mutter macht den Rest, und wenn die Eltern abends mal ausgehen, bringt die Oma Lilli ins Bett. Noch in Tempelhof – demnächst in Steglitz.

Die Sally Bowles ist ihre erste große Bühnenrolle. Nach Filmen wie „Anatomie“ und „Das Mambospiel“ und vielen Fernsehrollen – auch als WDR-Tatort-Assistentin – wollte sie was anderes machen, „etwas, was mich weiterbringt.“ Wobei ihr das Filmen sogar privat Glück brachte – Liefers lernte die Schauspielerin 1999 bei gemeinsamen Dreharbeiten kennen. „Halt mich fest“ hieß der Film. Wo sie doch früher nichts hielt:1989 türmte die damals 18-Jährige aus der DDR. Über Tschechien nach Ungarn, in den Westen – die Route hatte sie sich aus dem Schulatlas ausgearbeitet. Bei Tante Erika in Wedel bei Hamburg kam sie unter und besuchte das Gymnasium. Nicht lange. Daheim in Brandenburg hatte die Bestschülerin mit Ambitionen zur Opernsängerin schon klassischen Gesangsunterricht genommen – in Hamburg ging sie während der 13. Klasse zur „Stage School of Music, Dance and Drama“. „Meine Eltern waren entsetzt. Die dachten, ich setze mein Leben in den Sand. Die wollten, dass ich Medizin studiere“, sagt Anna Loos.

Das Geld für ihre Ausbildung erputzte sie sich in einer Hamburger Kneipe. „Dort habe ich es bis zur Bedienung am Frühstücksbüfett gebracht“, erzählt Loos. Gesungen hat sie dort auch, mit verschiedenen Bands. Das brachte sie zwar vom klassischen Gesang ab, dafür aber bis nach Kanada. Auftritte im Hamburger Schmidt- Theater und im Musical „Grease“ im Imperialtheater und zahlreiche TV-Produktionen gehören zu den weiteren Stationen ihrer Karriere. Urlaub dagegen nicht. Am 1. Mai hat Anna Loos mit „Cabaret“ vorerst letzte Vorstellung, am 6. Mai in München ihren letzten Drehtag zu einem Film mit Michael Mendel und im Herbst „ein tolles Kinoprojekt“. Ob sie es da schafft, nochmals in Berlin acht Monate als Sally Bowles auf der Bühne zu stehen, ist so ungewiss wie die geplante nachträgliche Hochzeitsreise. In die Dominikanische Republik würde sie gern mal. Am heutigen Sonntag hat Anna Loos spielfrei. Da will sie sich daheim abends „Tatort“ ansehen. „Der Frauenflüsterer“ heißt er – es ist ein Film von ihr und ihrem Mann.

„Cabaret“ in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf, noch bis zum 1. Mai. Reservierungstelefon: 88315 82

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