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Berlin: „Die NPD propagiert eine rechte Volksfront“

Claudia Schmid, Leiterin des Verfassungsschutzes, über die Szene in Berlin. Sie fürchtet die Annäherung von Neonazis mit Rockern und organisierter Kriminalität

Die Wahlerfolge von NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg haben bei Rechtsextremisten Euphorie ausgelöst. Sind NPD, DVU und vielleicht auch die Republikaner in Berlin im Aufwind?

Der NPDLandesverband ist in Berlin bei weitem nicht so stark wie der in Sachsen. Die Parteiarbeit wird vor allem von der NPD-Bundeszentrale in Köpenick dominiert. Aber selbst dort haben wir im groß angekündigten Schulungszentrum noch keine größeren Aktivitäten feststellen können. Der Zustand von DVU und Republikanern in Berlin ist desolat. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die rechtsextremen Parteien hier nach den Wahlen ihre Mitgliederzahlen steigern konnten.

NPD und DVU wollen bei der Bundestagswahl 2006 in einer Kombination antreten. Bewegen sich die beiden Parteien auch in Berlin aufeinander zu?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch in Berlin sondiert wird. Aber ich halte es für möglich, dass sich die zwei Parteien vor 2006 wieder zerstritten haben. NPD und DVU erheben beide einen Führungsanspruch. Kandidieren kann laut Wahlrecht immer nur eine Partei. Deshalb dürfte sich die Hochstimmung verflüchtigen, wenn es darum geht, wer auf der Wahlliste den Vortritt hat.

NPD-Chef Udo Voigt hat kürzlich Hitler als großen deutschen Staatsmann bezeichnet. Warum setzt die Partei nach dem biederen und erfolgreichen Wahlkampf in Sachsen wieder auf ein Nazi-Image?

Während des Verbotsverfahrens hatte sich die NPD aus taktischen Gründen von den Neonazis distanziert. Seit dem Scheitern des Verfahrens will die Parteiführung die Neonazis wieder einbinden. Das passte zum Wahlkampf in Sachsen, denn dort herrschen besondere Verhältnisse. In Sachsen wird die NPD schon lange von einer starken Szene unterstützt. Die Partei hat dann mit einer gemäßigten Themenwahl auch bürgerliche Schichten angesprochen. Nach der Wahl wollte Voigt mit dem Interview deutlich machen, dass NPD und Neonazis auch bundesweit politisch zusammenpassen.

Die Nähe zu den Neonazis stößt in Teilen der Parteibasis auf Kritik.

Deshalb bin ich gespannt darauf, was sich Ende Oktober beim NPD-Bundesparteitag abspielt. Da sollen zumindest zwei der drei Neonazi-Anführer, die kürzlich in die Partei eingetreten sind, in den Bundesvorstand gewählt werden. Teile der NPD-Basis stehen den Neonazis skeptisch gegenüber. Die Linie von Parteichef Udo Voigt ist daher nicht unumstritten. Offenbar umwirbt er jetzt Neonazis, weil er auf ihre Hilfe beim Parteitag hofft.

In Berlin ist der ehemalige Sänger der Rockband Landser, Michael Regener, der NPD beigetreten. Versucht Regener nun, seine Fans für die Partei zu begeistern?

Im Unterschied zu dem groß inszenierten Parteieintritt der anderen drei Neonazis gibt es bislang keine NPD-Werbung mit Regener. Aber sein Eintritt passt zu der Strategie, bekannte Neonazis als Brückenbauer zur Szene zu nutzen. Die NPD propagiert im Moment eine Art Volksfront von Partei und freien Kräften.

Wie reagieren die Berliner Neonazi-Kameradschaften auf das Werben der NPD?

Eine Bewegung rein in die NPD gibt es bei den Kameradschaften nicht. Selbst der Eintritt Regeners, der Anführer der „Vandalen“ ist, hat keine große Resonanz gefunden. Die Kameradschaften tun sich nur punktuell mit der NPD zusammen, wie beim Aufmarsch am 1. Mai. Größere Sorgen bereiten mir andere Aktivitäten. Die Kameradschaften haben vor allem ihre Anti-Antifa-Kampagne professionalisiert. Da wird versucht, politische Gegner auszuspionieren und eine Drohkulisse aufzubauen. Das geht gegen radikale Linke, gegen Politiker, aber auch Journalisten und Polizisten sind betroffen. Im Internet werden steckbriefartig Daten von Gegnern veröffentlicht. Außerdem nimmt die Gewalt gegen Polizisten zu, wie bei den Angriffen auf die Beamten am 1. Mai zu beobachten war.

Besonders unbeliebt ist der Chef der Polizeidirektion 6, Michael Knape, der viele Einsätze gegen die Szene geleitet hat . . .

Herr Knape ist für die Kameradschaften eine zentrale Hassfigur. Er und die Polizeispezialeinheit PMS haben wesentlich dazu beigetragen, die rechte Szene zu verunsichern. In Berlin werden seit Jahren rechtsextreme Konzerte mit unserer Hilfe verhindert oder aufgelöst.

Wie viele Kameradschaften agieren derzeit in Berlin?

Besonders aktiv sind fünf, mit etwa 60 Mitgliedern. Dazu zählen die „Berliner Alternative Süd-Ost“ und die „Kameradschaft Tor“. Die Brandenburger Kameradschaft „Märkischer Heimatschutz“ hat jetzt eine Berliner Sektion gegründet. Sie ist aber offenbar klein, das ist mehr ein Name als eine Gruppe.

Neonazis versuchen, Bürgernähe zu demonstrieren. In Prenzlauer Berg hat sich eine Kameradschaft am Protest gegen das Abholzen von Bäumen beteiligt.

Die Kameradschaften wollen auch Themen aufgreifen, die mit klassisch-rechtsextremer Propaganda nicht viel zu tun haben. Wie beim Irak-Krieg und bei Hartz IV. Jetzt sind es mal Bäume oder Jugendthemen. Mit geringem Erfolg. Für die Mainstream-Jugendlichen sind die Kameradschaften nicht attraktiv. Außerdem fehlen interessante Führungsfiguren.

Bewegen sich Neonazis auch weiter auf Rocker und Hooligans zu?

Hier bestehen seit langem Verbindungen. Während Hooligans und Neonazis meist zusammen saufen, nutzen Neonazis Clubhäuser von Rockergruppen für Treffen und Konzerte. Rockerclubs wie die Hells Angels stehen mit der organisierten Kriminalität in Verbindung und verfügen über Geld und Waffen. Neonazis werden für Jobs im Rotlichtmilieu rekrutiert. Die Kooperation von Rockern und Neonazis bereitet uns weiter Sorge.

Das Interview führte Frank Jansen

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