zum Hauptinhalt

Berlin: "Die PDS kommt langsam in der Wirklichkeit an" - möglich, daß die Partei die Blockade gegen eine Fusion von Berlin und Brandenburg aufgibt

Jörg Schönbohm (62) wurde nach der letzten Landestagswahl neuer Innenminister Brandenburgs. Die märkische CDU führt der Ex-General seit Januar 1999.

Jörg Schönbohm (62) wurde nach der letzten Landestagswahl neuer Innenminister Brandenburgs. Die märkische CDU führt der Ex-General seit Januar 1999. Zuvor war er vom Posten des Berliner Innensenators zurückgetreten. Über die Fusion von Berlin und Brandenburg, die PDS, den Zustand der brandenburgischen Union und die Fremdenfeindlichkeit im Land sprachen mit Schönbohm Michael Mara und Thorsten Metzner.

Ministerpräsident Stolpe hat jüngst erklärt, kein Fusionsanlauf in dieser Legislaturperiode. Sie sagen kurz darauf das Gegenteil. Warum stellen Sie sich so demonstrativ gegen Stolpe?

Dieser Eindruck ist falsch. Ich habe eine Diskussion aufgenommen, die vom Ministerpräsidenten angestoßen und anderen aufgenommen wurde. Herr Birthler zum Beispiel lehnte in Ihrer Zeitung eine Fusion generell ab. Wir haben uns im Koalitionsvertrag aber darauf verständigt, dass das Land Berlin-Brandenburg unser Ziel ist.

Im Koalitionsvertrag wird aber kein Termin genannt.

Wenn man von einer Sache überzeugt ist, soll man nicht abwarten, sondern die, auf die es ankommt, überzeugen. Wenn wir zu den Wahlen 2004 auch über die Fusion abstimmen, könnte sie in der nächsten Legislaturperiode - vielleicht 2005 oder 2006 - vollzogen werden.

Aber wie wollen Sie denn die Brandenburger, die mehrheitlich Berlin-skeptisch sind, von den Vorteilen der Fusion überzeugen?

Man muss vor allem die Sorge ausräumen, dass der "Moloch Berlin" Brandenburg aussaugt. Wir müssen deutlich machen, dass die Region Berlin-Brandenburg nicht nur historisch-kulturell immer eine Einheit war, sondern auch wirtschaftlich immer mehr zusammenwächst und sich international gemeinsam am Besten behaupten kann.

Die SPD argumentiert, dass die Zeit noch nicht reif ist ...

Wir reden über einen Termin, der mehr als acht Jahre nach dem gescheiterten Fusionsanlauf liegt. Wenn wir so ängstlich herangehen, woher nehmen wir den Glauben, dass die Zeit nach 12 oder 15 Jahren reif sein soll?

Finanzministerin Simon sieht die Haushaltskonsolidierung in Berlin als zwingende Voraussetzung für eine Länderfusion an.

Man darf nicht nur auf Berlin schauen. Die Finanzlage in Berlin und Brandenburg muss geordnet sein, es muss gewährleistet sein, dass keiner den anderen über den Tisch zieht. Aber die Fusionsdebatte darf nicht aufs Finanztechnische reduziert werden.

Dennoch gibt es aus Brandenburger Sicht einen wichtigen Grund, mit der Debatte zu warten: Der Länderfinanzausgleich wird neugeordnet. Wenn Berlin ab 2005 das Stadtstaatenprivileg verliert, womit zu rechnen ist, steht es finanziell schlechter da als heute.

Das ist kein Widerspruch zu meinem Vorschlag, die Berliner und Brandenburger im Jahr 2004 abstimmen zu lassen. Wir wissen dann, wie es mit dem Länderfinanzausgleich weitergeht, können uns vorbereiten. Auch kann über den Zeitpunkt der Fusion gesondert entschieden werden. So oder so - der Prozess wird in den nächsten Jahren eine Eigendynamik bekommen.

Sie wollen die PDS bei einem neuen Fusionsanlauf mit ins Boot nehmen. Wird die märkische CDU die Abgrenzung gegenüber der PDS aufgeben und mit ihr zusammenarbeiten?

Nein. Aber ich gewinne den Eindruck, dass die PDS, die eine wichtige politische Kraft ist, langsam auch in der Wirklichkeit eines föderalen Staatswesens in der Bundesrepublik Deutschland ankommt. Deshalb halte ich es für möglich, dass die Partei ihre frühere Blockadehaltung gegen die Fusion aufgeben könnte. Die PDS sollte klar sagen, was sie will. Dann wird man sehen, was gemeinsam geht.

Ist die PDS für Sie eine demokratische Partei?

Die Programmatik der Bundespartei bewegt sich in Teilbereichen außerhalb dessen, was ich als demokratisch bezeichne. Aber die PDS-Abgeordneten sind demokratisch gewählt, einige sogar direkt. Daher sitzen sie zu Recht im Parlament. Man muss sich mit der PDS politisch auseinandersetzen. Es gibt Anzeichen, dass sie sich weiterentwickelt, weil sie sonst Gefahr läuft, überflüssig zu werden, wenn die innere Einheit vollendet ist.

Als Innensenator von Berlin haben Sie Teile der PDS beobachten lassen. In Potsdam tun Sie es nicht. Ist eine Überwachung nach den PDS-Wahlerfolgen noch zeitgemäß?

Es geht nicht darum, was zeitgemäß ist, der Staat muss vielmehr verhindern, dass verfassungsfeindliche Tendenzen ausufern. Auch in Berlin werden nicht die gewählten PDS-Parlamentarier überwacht, sondern Organisationen in und bei der PDS, auch in Verbindung mit der autonomen Szene. Wer sich nicht an die Spielregeln der Verfassung hält, muss überwacht werden. Aber diese Entscheidung bedarf eines besonderen Augenmaßes, einer besonderen Sensibilität.

In Brandenburg vielleicht auch, weil der Ministerpräsident der Ansicht ist, dass das Land den Titel "kleine DDR" stolz tragen kann?

Ich glaube, dass Stolpes Äußerung verkürzt angekommen ist. Er hat es im Rückblick gemeint, nicht auf die Gegenwart und schon gar nicht auf die Zukunft bezogen. Brandenburg muss das, was mit dem Begriff "kleine DDR" charakterisiert wird, überwinden. Wenn wir als Bundesland im Osten die Brückenfunktion gegenüber Polen und anderen osteuropäischen Ländern übernehmen und im bundesdeutschen Konzert eine wichtige Rolle spielen wollen, können wir das nicht als "kleine DDR", sondern nur als leistungsstarkes, innovatives und angesehenes Land.

Dennoch hat Stolpe sein Profil mit der Ost-Identität verknüpft. Ist das ein Hemmnis auf dem Weg in die Zukunft?

Ich bin überzeugt, es gibt keine Ost-Identität, es gibt allenfalls gemeinsame Erfahrungen der Menschen hier. Dass diese nicht identitätsstiftend waren, hat der 9. November 1989 gezeigt. Es gibt Unterschiede zwischen Brandenburgern und Sachsen wie zwischen Bayern und Rheinländern. Natürlich sind die Biographien von Stolpe und Schönbohm sehr unterschiedlich. Aber wir wollen das Land gemeinsam voranbringen. Stolpe will die Erfahrungen einbringen, die er mit der "kleinen DDR" beschrieben hat. Ich will meine Erfahrungen aus dem Westen einbringen. Ich glaube, dass wir in dieser Symbiose viel leisten können.

Was unterscheidet brandenburgische eigentlich von Berliner Politik?

Berliner Politik ist sehr stark West-Berliner Politik. Alle, die in der Berliner Politik etwas zu sagen haben, kennen sich seit mehr als 20 Jahren. Alle haben ideologische oder andere Grabenkriege hinter sich. Die Brandenburger Politik ist noch sehr von den Runden Tischen der Wende geprägt. Brandenburg ist weniger aufgeregt als Berlin - auch in den Medien. Insgesamt ist Politik hier moderater, vielleicht auch fairer. Andererseits wird durch die Koalition das Regieren auch offener werden. Es wird anders sein als in der Zeit der Alleinherrschaft, in der Konflikte und Probleme oft unter den Teppich gekehrt wurden.

In kleinen privaten Runden äußern sie schon mal, dass Berlin mittelmäßig regiert wird.

Richtig ist, dass es aus historischen Gründen in Berlin noch keine politische Elite gibt, die die Gesamtstadt repräsentiert und von der sich die gesamte Stadt repräsentiert fühlt. Ich bin optimistisch, dass SPD und CDU in dieser Legislaturperiode die Weichen für eine Erneuerung stellen werden. Auch mit Blick auf das Wahljahr 2004 - für Berlin, oder für Berlin-Brandenburg.

Erneuerung ist auch in der Brandenburger CDU von Nöten. Sieht man einmal von dem starken Vorsitzenden ab, ist da nicht viel. Was sind die vordringlichsten Aufgaben?

Sieht man bei der SPD - nachdem Frau Hildebrandt sich herauskatapultiert hat - einmal von Stolpe ab, gibt es da ja auch nicht mehr viel. Vordringlich ist, dass wir die Organisation verbessern, Mitglieder werben, eine Partei zum Anfassen werden. Das fängt ganz simpel damit an, dass die CDU überall in den Telefonbüchern steht.

Sie haben doch gar keine Zeit, sich neben ihrem Job als Innenminister und Vizepremier noch intensiv um die Partei zu kümmern.

Im Augenblick ist das so. Ich bin mit diesen Aufgaben bis Weihnachten ausgebucht. Danach muss ich mehr Zeit für die Partei finden.

Der aus Bayern nach Brandenburg gekommene Justizminister Schelter, selbst bei der SPD hochgelobt, hat signalisiert, er wäre bereit, Verantwortung in der märkischen CDU zu übernehmen. Nehmen Sie das Angebot an?

Ja, unbedingt. 2001 wird ein neuer Landesvorstand gewählt, da sollte er kandidieren. Bis dahin kann sich Schelter mit seiner Erfahrung und seinem Sachverstand bei der programmatischen Profilierung der Partei, qua Amt im geschäftsführenden Landesvorstand und in der Fraktion, einbringen.

Manche meinen, der in der Bundespolitik erfahrene Schelter könnte der zweite starke Mann, vielleicht sogar Ihr Nachfolger werden.

Bis zur Wahl 2004 brauchen wir starke Männer und starke Frauen. Davon haben wir nicht allzu viele.

Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Koalition?

Als Vize-Ministerpräsident will ich versuchen, die Koalition stabil zu halten. Als Landesvorsitzender muss ich darauf achten, dass sich die CDU als verlässliche, entscheidungs- und regierungsfähige Partei profiliert.

Und als Innenminister? Im Land wächst die Fremdenfeindlichkeit, die einschlägigen Straftaten nehmen zu und schaden dem Ansehen Brandenburgs.

Neben den verschiedensten Regierungsaktivitäten will ich persönliche Akzente setzen: Mit Jugendlichen reden, Sponsoren für Jugendprojekte gegen Gewalt finden. Zum Beispiel habe ich mit dem Schauspieler Semmelrogge für das nächste Jahr eine Aktion verabredet. Meine Botschaft ist: Nicht nur auf den Staat warten, man kann auch selbst etwas tun!

Die Wirklichkeit ist aber eine andere: So haben Taxifahrer zugesehen, wie in Königs Wusterhausen ein Schwarzer zusammengeschlagen wurde. Ein Gericht hat sie jetzt freigesprochen - zusehen ist nicht strafbar.

Ich will keine Richterschelte betreiben. Aber das Signal, das von diesem Urteil abgeleitet wird, ist fatal und inakzeptabel: Wenn ein Ausländer verprügelt wird, guck lieber weg! Unsere Botschaft muss ein: Wenn einer verprügelt wird, guck hin und hilf ihm! Unabhängig davon, ob man formaljuristisch dazu verpflichtet ist. Wir brauchen mehr Zivilcourage, wir müssen darüber nachdenken, wie wir sie befördern können.

Sie sind auch Kommunalminister: Kann sich Brandenburg die Fülle uneffektiver Mini-Gemeinden, die die CDU im Wahlkampf nicht angetastet hat, wirklich noch leisten?

Wir haben nicht gesagt, dass wir am Status Quo nicht rütteln werden. Aber der bisher von SPD, PDS und der Enquete-Kommission favorisierte Vorschlag, das Modell von Amtsgemeinden einzuführen, war nicht akzeptabel. Wir müssen nach anderen Lösungen suchen, wie wir die Verwaltung der Gemeinden in einem Flächenland wie Brandenburg effizienter machen können, ohne die ortsbezogene Identität zu zerstören. Wir müssen bis 2001 entscheiden, wie es weitergeht.

Ist es Ihr strategisches Ziel, die CDU 2004 zur stärksten Partei im Lande zu machen?

Ja. Ich wäre kein guter Parteivorsitzender, wenn ich etwas anderes sagen würde.

Wollen Sie dann Ministerpräsident werden?

2004 bin ich 67 Jahre alt und kein junger Hüpfer mehr. Wenn in der märkischen CDU ein aussichtsreicher jüngerer Spitzenkandidat da ist, werde ich den Stab übergeben. Wenn nicht, wenn die CDU zur Auffassung kommen sollte, dass wir nur mit Schönbohm Chancen haben, den Ministerpräsidenten zu stellen, würde ich noch einmal antreten. Aber das wird in vier Jahren entschieden.

Ministerpräsident Stolpe hat jüngst erkl

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false