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Berlin: Die Perücke des Herrn Droßelmeier

Das Nahen der Weihnachtszeit erkennt man schon am Ballettprogramm. Landauf, landab Tschaikowsky, "Schwanensee" oder "Nussknacker", meistens beides.

Das Nahen der Weihnachtszeit erkennt man schon am Ballettprogramm. Landauf, landab Tschaikowsky, "Schwanensee" oder "Nussknacker", meistens beides. Letzterer ist immerhin jahreszeitlich begründet, haben wir doch jetzt die Saison der Nüsse, und die Geschichte spielt ja auch Heiligabend.

In diesem Jahr kommt zumindest in Berlin Abwechslung ins alljährliche Ritual: Das Imax-Kugelkino bietet neben seinem üblichen Naturkunde-Programm neuerdings auch den "Nussknacker" in 3 D, sehr frei nach Tschaikowsky und also auch nach E.T.A. Hoffmann, der mit seinem Märchen "Nussknacker und Mausekönig" dem Komponisten die Vorlage zum Ballett lieferte. Endlich mal ein Imax-Film mit richtiger Handlung, könnte man sich nun freuen, übrigens ist sie im weihnachtlichen London einer märchenhaften Gegenwart angesiedelt. Leider aber hat sich das Team um Regisseurin Christine Edzard ausgerechnet um Handlung und Dialoge nur wenig gekümmert. Alles Augenmerk galt der 3 D-gerechten Ausstattung, deren Pracht über die hölzerne Erzählweise und unbeholfene Dramaturgie aber nicht hinwegtrösten kann. Selbst die schlechtsitzende Perücke des Onkels Droßelmeier wirkt eher wie eine Nachlässigkeit des Filmfriseurs und nicht wie eine Reminiszens an Hoffmanns Original.

"Der Obergerichtsrat Droßelmeier war gar kein hübscher Mann, nur klein und mager, hatte viel Runzeln im Gesicht, statt des rechten Auges ein großes schwarzes Pflaster und gar keine Haare, weshalb er eine sehr schöne weiße Perücke trug, die war aber von Glas und ein künstliches Stück Arbeit." Auch wenn E.T.A. Hoffmann weder Augenklappe noch Glashaare trug, gilt es unter seinen Biografen als ausgemacht, dass sich der dichtende Kammergerichtsrat mit dem Paten Droßelmeier in dem Kindermärchen "Nussknacker und Mausekönig" selbst ein wenig porträtiert hat. Und nicht nur sich: Bei Droßelmeiers Patenkindern Fritz und Marie hat Hoffmann offensichtlich zu den Kindern seines Freundes Julius Eduard Hitzig geschielt, wie er Jurist mit poetischen Ambitionen. 1814 war Hoffmann nach Berlin zurückgekehrt und Mitarbeiter am Kammergericht geworden, anfangs ohne Gehalt. Im Herbst 1816 hatte er in seiner Wohnung am Gendarmenmarkt mit der Niederschrift des Märchens begonnen, das er den Kindern des Freundes widmete. Erstmals wurde es im selben Jahr in zweibändigen "Kinder-Mährchen" in Berlin veröffentlicht, 1819 nahm Hoffmann es in seine ebenfalls in Berlin erstveröffentlichten "Serapionsbrüder" auf. Es wurde zu einer seiner populärsten Geschichten, weit mehr als ein Kindermärchen, ungemein lesenswert, nicht nur zur Weihnachtszeit.

ac

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