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Berlin: Die Polen kommen? Sie sind längst da!

Einwanderer aus dem Osten sind die Weltmeister der Integration. Sie stellen die zweitgrößte Ausländergruppe der Stadt. Und in ihrer Szene ist einiges los

Von Sandra Dassler

Von Sandra Dassler

und Serena Klein

Putzfrauen und Autodiebe – das sind die Klischees, die zur Sprache kommen, wenn es um Polen geht. Dabei gehen viele Polen in Berlin ganz anderen Berufen nach: Sie sind Hochschulprofessoren oder Ärzte, arbeiten als Stuckateure oder Architekten. Rund 120 000 bis 130 00 Polen leben in der Stadt. Unter den in Berlin mit Hauptwohnung gemeldeten Ausländern nahmen die Polen im vergangenen Jahr erstmals Platz zwei hinter den Türken ein. Doch so richtig wahrgenommen werden die Polen nicht. Dabei wird ihr Heimatland politisch immer wichtiger. Das hat zuletzt der Irak-Krieg gezeigt. Und heute blickt ganz Europa nach Polen. Denn dort steht das Referendum zum EU-Beitritt an.

Eine Umfrage der früheren Ausländerbeauftragten Barbara John ergab, dass die meisten Polen in Berlin „wirtschaftlich und sozial verwurzelt“ sind. 88,4 Prozent geben an, sich hier wohl zu fühlen. John sprach von einer „gelungenen Integration“. Polen wollen nicht auffallen. Witold Kaminsky vom Polnischen Sozialrat konstatierte: „Viele Polen in Berlin haben sich geradezu versteckt.“

Ganz im Gegensatz zum Medienrummel um türkische Popkultur hat sich eine polnische Subkultur eher unauffällig herausgebildet. Eine kuriose Sonderheit dieser Szene ist der „Klub der polnischen Versager“ in der Torstraße 66 in Mitte, offizieller Sitz des Künstlernetzwerks „Bund der polnischen Versager“. Der Musiker Adam Gusowski hat den Klub mit vier anderen in Berlin lebenden polnischen Künstlern im September 2001 eröffnet. Inzwischen finden hier jährlich um die 200 Veranstaltungen statt, bei denen polnische Filmemacher, Theaterregisseure, Schriftsteller, Musiker, „assoziierte“ Deutsche und andere Versager zu Gast sind. Der Begriff „Versager“ wird hier nicht mit aggressivem Unterton verwendet. „Wir haben uns in einem ehrlichen Akt als Versager bezeichnet, weil wir uns so gefühlt haben“, erzählt der 30-jährige Gusowski. „Uns ist nichts gelungen. Wir hatten keine Karriere in Aussicht und im Alltag lief auch vieles schief.“

DJ Tomekk ist definitiv kein Versager. Der 27-jährige Hip-Hop-DJ, der in Krakau geboren wurde und seit seinem elften Lebensjahr in Berlin zu Hause ist, bekennt sich zu seiner Herkunft. „Die Deutschen können stolz sein, dass ich in Berlin lebe“, sagt Tomekk. Seine steile Karriere begann, als mit der amerikanischen Hip Hop-Legende Kurtis Blow eine gemeinsame USA-Tour unternahm. Auch ist er inzwischen mit einer Amerikanerin verheiratet und hat seinen zweiten Wohnsitz in Los Angeles. „In Amerika ist das Bild der Polen komplett anders. Wir sind bekannt und beliebt, während die Deutschen höchstens noch Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg hervorrufen“, sagt der Jung-Star, der schon Gastauftritte bei so renommierten Rap-Künstlern wie dem Wu-tang Clan oder LL Cool J absolviert hat.

Mit polnischer Popmusik hat Tomekk weniger am Hut. Anders die Macher der „Polish Pleasure Parties“, die einmal im Monat im Klub „Diva“ in der Friedrichstraße 105 in Mitte stattfinden und mit Bier und Popmusik aus Polen jedes Mal bis zu 800 Leute begeistern, darunter viele Deutsche. Kossi und Piotre heißen die beiden 23-jährigen Urheber dieser Party-Idee. „Wir liefen durch die Stadt und sahen türkische und russische Klubs, aber nichts Polnisches. Dabei feiern die Polen sehr gut“, sagt Kossi.

Vom Hip Hop über Pop zum Punk: Wojciech Zawadzki ist Mitglied der Punk-Band „Bloody Kishka“ (zu deutsch: Blutwurst). Der 49-Jährige zählt zu der Gruppe von Polen, die in den Achtzigerjahren mit der Auswanderungswelle nach West-Berlin kamen. Als 1981 Militärs die Macht übernahmen und das Kriegsrecht verhängten, verließen viele Polen aus Angst vor Verfolgung ihr Land. So auch Zawadzki, der Mitglied der Untergrundbewegung „Solidarnosc“ war und sich ein Leben in Angst nicht vorstellen konnte. „Ich war gerade bei Freunden in West-Berlin zu Besuch, als plötzlich die Grenzen zu Polen geschlossen wurden“, erinnert sich der ehemalige Filmstudent und Aktivist vieler Demos. „Bei einer Einreise nach Polen hätte ich meinen Reisepass abgeben müssen. Der Gedanke, Polen nie wieder verlassen zu können, ließ mich in Berlin bleiben.“

Menschen wie Zawadzki fühlen sich wohl in Berlin. Doch auch sie fallen nicht auf. „Wir Polen sind Weltmeister im Integrieren, weil uns ein schlechtes Image anhing“, sagt Jacek Tyblewksi, Leiter der täglichen halbstündigen polnischen Sendung bei Radio Multikulti. Sich in fremden Ländern eine zweite Heimat zu suchen, hat aufgrund der polnischen Geschichte von Verfolgung und Vertreibung Tradition. „Es steht in unserer Nationalhymne“, sagt Antoni Büchner, Musikreferent am Polnischen Institut. „Polen ist, wo Polen sind. Wir können überall leben.“

Die schwierige deutsch-polnische Geschichte belastet noch immer vor allem die Älteren, meint Piotr Hlawiczka vom polnischen Fremdenverkehrsamt. „Aber die Jüngeren gehen entspannt miteinander um.“ Das Wissen über das Nachbarland nehme zu, rund 40 Prozent der Berliner haben Polen besucht, die allermeisten würden es wieder tun. „Die anderen 60 Prozent versuchen wir zu erreichen“, sagt Hlawiczka: „Vor allem müssen wir ihnen die Ängste vor der EU-Osterweiterung nehmen. Viele denken, dass die Polen dann in Scharen in Deutschland einfallen. Das ist lächerlich. Jene, die kommen wollten, weil sie hier eine Perspektive sehen, sind doch längst da.“

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