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Berlin: Die Pop-Kameraden – wer in Berlin den Ton angibt

Die Popkomm beginnt. Ein Who’s who der Musikszene – von den Bands bis zu den Machern

Die Ärzte: Ihre Mischung aus Punk light, Rock’n’Roll und KonsensPop gefällt der ganzen Familie. Die Selbstironie von Bela B. (aus Spandau), Farin Urlaub (aus Frohnau) und Rod Gonzalez (aus Chile), ihre volkstümlichen Texte, rüden Provokationen und ihr verspielter Unsinn kommen seit 20 Jahren bei Leuten an, die sonst nicht viel miteinander gemeinsam haben. Und die Kinder kreischen mit.

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Beatsteaks: Die Jungs aus der Alten Schönhauser Straße 48/49 („Da komm’ wa nun mal her“!) waren viele Jahre eine Szenegröße, in diesem Jahr haben sie den Durchbruch geschafft. Sie klingen relaxter, melodiöser und laufen auf MTV, lassen es aber live immer noch gut krachen.

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Einstürzende Neubauten: Aus den „Genialen Dilettanten“ als brachiale post-industrielle Lärm-Künstler hervorgegangen, schufen sich Blixa Bargeld, N. U. Unruh sowie F. M. Einheit, Alexander Hacke und Mark Chung ihr eigenes rostiges Klanguniversum. In den Neunzigern setzten sich poetische Momente durch, still aber wurde es nie. Viele sagen: Nicht eine schlechte Platte in 24 Jahren.

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Christoph Ellinghaus: Der Plattenmanager ist die gute Seele Berliner Indie-Kultur. Er gründete vor mehr als zehn Jahren das Renommee-Label City Slang, auf dem Hole – die Rockband von Courtney Love – erstmals in Europa veröffentlchten. In Deutschland nahm er junge Bands wie Wir sind Helden unter Vertrag. Heute steht er dem EMI-Alternativ-Sektor bei Labels vor.

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Gudrun Gut: Die Schönebergerin bestimmt seit 20 Jahren den musikalischen Underground. Früher sang sie in der New-Wave-Band Malaria über „Kaltes Klares Wasser“, seit zehn Jahren leitet sie das Label Monika Enterprise und sendet auf Radio Eins den elektronisch gefärbten „Oceanclub“. Daraus entwickelte sie ein Club-Konzept, das sie und Partner Thomas Fehlmann bis nach China führte.

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Maximilian Hecker: Der Junge mit der Gitarre vom Hackeschen Markt besitzt großes Spaltungspotenzial. Der gebürtige Ostwestfale geriert sich als schlaksiger Alleinunterhalter, der seismografisch auf emotionale Veränderungen reagiert und Pop-Perlen formt – eine Mischung aus Beatles und Howard Carpendale.

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Raik Hölzl: Der Ostberliner malte vor zehn Jahren noch Laternen auf der Oranienburger Straße rot – aus Jux. Dann gründete er ein Label, dessen Ruf in alle Welt schallte: Kitty-Yo Records zementierte den Ruf Berlins als hippe Musikszene. Früher rockig, positioniert sich Kitty-Yo heute als Auffangbecken elektronischer Musik.

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Jazzanova: Das DJ-Kollektiv hat sich Mitte der Neunziger im „Delicious Doughnuts“ formiert. Die Mitte-Darlings haben sich mit Label, Clubnacht und Produktion ein funktionierendes Netzwerk aufgebaut. In Japan und Australien stehen Menschen Schlange, um sie zu hören.

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Mediengruppe Telekommander: Das Rebellen-Duo haut mit markigen Sprüchen um sich. „Vorsicht, ein Trend geht um!“, singen die jungen Männer, dazu donnern die Keyboards – und fertig ist tatsächlich ein Trend: Agit-Pop.

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Mia: An Selbstbewusstsein mangelt es den fünf Deutschpoppern nicht. Zuerst kreieren sie ein Genre namens Elektro-Punk, dann spielen sie in den deutschen Nationalfarben auf der Love Parade. Mit naiven Texten über neue deutsche Identität erobert Sängerin Mieze die Schlagzeilen. Als Aushängeschild Berlins hat es Mia dieses Jahr in die Vorausscheidung um den Grand Prix gebracht.

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Miss Kittin: Eigentlich heißt die 30-jährige DJane Caroline Herve und stammt aus dem französischen Grenoble. Seit drei Jahren lebt die Künstlerin in Berlin, arbeitet mit internationalen Produzenten zusammen und steht für die Wandelbarkeit der Berliner Elektro-Musik. In diesem Jahr brachte sie ihr Debüt heraus.

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Nena: Eine für alle. „Nur geträumt“ und „99 Luftballons“, das sind Melodien für Millionen. Auch im Ausland dank „99 red balloons“ immer noch bekannt wie Michael Schumacher. In Berlin kann man sie schon mal zum Frühstück in der Ankerklause in Kreuzberg sehen.

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Peaches: Sie ist klein, sexy und vor allem – laut. Der bekannteste Song der Kanadierin, „Fuck The Pain Away“, wurde weltweit in Clubs gefeiert, Madonna wählte ihn als Soundtrack für ihr beinhartes Fitness-Programm. Sie hat schon mit Punker Iggy Pop und Pop-Diva Pink gearbeitet.

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Tim Renner: Der Entdecker von Rammstein holte Universal Music von Hamburg nach Berlin, überwarf sich im Januar mit der Konzernleitung, weil sie nicht an deutsche Gruppen glaubte – und kündigte. Der 39-Jährige hat ein Buch über die Musikindustrie veröffentlicht, plant mit Motor FM einen Radiosender und könnte im Plattengeschäft wieder eine wichtige Rolle spielen.

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Rammstein: Mit teutonischem TechnoMetal, rollendem „r“ und kalkulierten Provokationen macht das Sextett seit zehn Jahren auf sich aufmerksam. „Mein Teil“, ihr Lied über den Menschenesser von Rotenburg, löste erwartungsgemäß Empörung aus. Die ist gut fürs Geschäft. Ihr Song „Mein Herz brennt“ läuft in einem Mercedes-Werbespot. Ach, und ihr Video zu „Mein Teil“ spielt auf der Bismarckstraße, vor der Deutschen Oper.

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Rosenstolz: Die Fans fühlen sich von Anna R. und Peter Plathe auch nach 13 Jahren zunehmend erfolgreicher Musikerkarriere persönlich ernst genommen, singen in ausverkauften Konzerthallen jede Textzeile mit und laden sich „Es tut immer noch weh“ als Klingelton fürs Handy runter.

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Seeed: Bei der Reggae-Dub-Band verliert man leicht den Überblick. Wer singt was und wie viele begleiten ihn? Elf junge Männer diverser Ethnien berauschen sich an der Kraft jamaikanischer Musik und münzen sie auf hiesige Verhältnisse um: „Dickes B.“ ist weiterhin die tanzbarste Liebeserklärung an den Moloch Berlin. So sonnentrunken röhrt niemand im trüben Herbstlicht.

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Sido: Der Frosch mit der Maske. Der Rapper aus dem Märkischen Viertel versteht es, seinen Kiez als Hochburg von Kleinkriminellen zu stilisieren. Er folgt damit dem Rezept von US-Rappern, das Zuhause in Superlativen des Chaos zu schildern. Das märkische Konzept rundet eine silberne Maske ab, die Sido öffentlich nie ablegt – und bald mit einer goldenen Schallplatte belohnt wird.

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DJ Tomekk: Tomasz Kuklicz wird 1976 im polnischen Krakau geboren, zieht mit zehn Jahren an die Spree und beweist sieben Jahre später sein Können als Hip-Hop-DJ. Unter dem Pseudonym Tomekk nimmt er Titel mit amerikanischen und deutschen Rappern auf.

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Westbam: Vor 20 Jahren forderte der gebürtige Münsteraner die Abschaffung aller Rock-Hierarchien durch elektronische Tanzmusik. Heute zählt der DJ und Produzent selbst zum Hochadel: nämlich der Club-Kultur. Auch wenn es mit Love Parade und Plattenverkäufen bergab geht, sind seine DJ-Sets immer noch beneidenswert gut besucht. Wo seine Glatze scheint, feiert man Party.

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Wir sind Helden: Die Pop-Band um Sängerin Judith Holofernes vereint eingängige Musik mit gehaltvollen Texten. Ein überragender Erfolg ist ihr Debütalbum „Die Reklamation“ – es steht seit mehr als einem Jahr in den Charts.

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2Raumwohnung: Inga Humpe und Tommi Eckart haben deutschsprachigen Elektro-Pop im Alleingang entwickelt. Als 2Raumwohnung geben sie der gealterten Club-Generation Gesicht und Stimme. Niemand in Deutschland klingt mehr nach den Pet Shop Boys als sie.

Von unseren Autoren Ulf Lippitz, Kai Müller und Lars von Törne.

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