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Berlin: Die Preisfrage

Darf die Tochter einer NS-Größe in einer Synagoge geehrt werden? Nein, sagt die Jüdische Gemeinde

Es wäre eine außergewöhnliche Konstellation gewesen: Die Jüdische Gemeinde macht Moses Mendelssohn zum Thema ihrer Kulturtage. Und der Senat vergibt zu deren Auftakt in einer Synagoge den nach Mendelssohn benannten Toleranz-Preis an Hilde Schramm, die Tochter des NS-Architekten und Rüstungsministers Albert Speer. So wird es nicht kommen. Hilde Schramm soll den Preis erhalten, aber nicht in der Synagoge an der Rykestraße. Die Entscheidung für diesen Ort sei in der Jüdischen Gemeinde nicht vermittelbar, schrieb deren Vorsitzender Albert Meyer in einem Brief an die Juroren.

Meyer sprach gestern von einer „unnötigen Provokation“. Hilde Schramm sei gewiss eine würdige Preisträgerin. „Sie hat sehr viel Positives geleistet. Aber ich kann den Preis nicht in meiner Synagoge der Tochter eines NS-Oberen übergeben. Dafür gibt es in der Gemeinde kein Verständnis.“ Viele Altgemeinde-Mitglieder seien in Polen Zwangsarbeiter gewesen. Er habe der vom Senat bestellten Jury vor ihrer Entscheidung mitgeteilt, dass die Preisverleihung nicht im Rahmen der Kulturtage stattfinden werde, „falls Frau Schramm in diesem Jahr den Preis bekommen sollte“.

Die Historikerin Cécilie Lowenthal-Hensel, Gründerin der Mendelssohn-Gesellschaft, „bedauerte eine überflüssige Entscheidung – was den Übergabeort betrifft“. Dagegen kritisierte die kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Alice Ströver, den Vorstand der Jüdischen Gemeinde: „Die Diskussion ist eine zum Schaden Hilde Schramms. Ich kann nicht nachvollziehen, dass Herr Meyer die Preisträgerin als würdig lobt, aber nicht will, dass sie in diesem Jahr ausgezeichnet wird.“

Hilde Schramm selbst sagte, sie halte die Synagoge nicht für den geeigneten Ort für die Preisverleihung. „Ich verstehe, wenn es Gefühle gibt, die das unmöglich machen. Ich möchte diese Gefühle schonen.“ Dass sie selbst viel zur Aufarbeitung der NS-Geschichte beitrug, ändere daran nichts. Schramm war Abgeordnete der Alternativen Liste (heute Grüne). Unter anderem verkaufte sie Bilder, die sie von ihrem Vater geerbt hatte. Der Erlös floss in die die Stiftung „Zurückgeben“, die sie 1993 mitgründete. Die Stiftung gibt Vermögen, das sich nicht-jüdische Deutsche im Zuge der Entrechtung und Ermordung von Juden angeeignet haben, an deren Nachkommen zurück. Zudem ist Hilde Schramm Gründungsmitglied des Vereins „Kontakte“, der sich für die Entschädigung von NS-Opfern in Osteuropa einsetzt.

Wo der Preis vergeben wird und Anfang September wie bisher, ist unklar. Nach Auskunft der Kultur-Senatsverwaltung kommen das Rote Rathaus oder ein Ort in Frage, der für Völkerverständigung steht – etwa das Haus der Kulturen der Welt. „Eine Entscheidung fällt diese Woche“, sagte Sprecher Torsten Wöhlert.

Der Mendelssohn-Preis wird seit 1980 alle zwei Jahre vergeben. Bekommen haben ihn unter anderem der Dirigent Sir Yehudi Menuhin, der Kulturwissenschaftler Ivan Nagel und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Marc Neller

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