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Berlin: "Die Russen? Die vermisst hier keiner!" - eine Spurensuche nach dem Verschwinden der letzten Soldaten aus Karlshorst

Am Kronleuchter hängt ein Stuhl, die bunten Glasscheiben in dem hohen, hellen Treppenhaus sind zerbrochen, die Zimmer weitestgehend leer. Einen Teil der Toiletten und Waschbecken haben die russischen Soldaten bei ihrem Abzug wohl mitgenommen, was bleibt, sind Löcher in den Wänden.

Am Kronleuchter hängt ein Stuhl, die bunten Glasscheiben in dem hohen, hellen Treppenhaus sind zerbrochen, die Zimmer weitestgehend leer. Einen Teil der Toiletten und Waschbecken haben die russischen Soldaten bei ihrem Abzug wohl mitgenommen, was bleibt, sind Löcher in den Wänden. Früher arbeiteten in diesen Räumen sowjetische Militärärzte, sie versorgten die Soldaten der Berlin-Brigade. Jetzt herrscht Stille im Elisabeth-Hospital in Karlshorst.

Heute vor fünf Jahren waren die Soldaten der Berlin-Brigade beim offiziellen Festakt zum Abschied der russischen Truppen aus Deutschland am Ehrenmal im Treptower Park ein letztes Mal marschiert. Stationiert war die 6. selbstständige Motschützenbrigade - so die offizielle Bezeichnung der Berlin-Brigade - in Karlshorst. Was ist nach fünf Jahren geblieben von der Zeit, in der die sowjetischen Truppen das Stadtbild prägten?

Geblieben sind zunächst die Spuren in den Köpfen der Menschen. Viele Karlshorster reagieren abweisend, wenn man sie nach Erinnerungen an die 49 Jahre der sowjetischen Präsenz in ihrem Bezirk fragt. Sie scheinen die jüngste Vergangenheit so schnell wie möglich vergessen zu wollen. "Wir sprechen nicht über dieses Thema", sagt eine junge Frau kurz. Ihre Eltern mussten 1945 ihr Haus verlassen, als Karlshorst innerhalb von 24 Stunden komplett geräumt werden musste, erklärt sie noch.

Auch die Bedienung in einer Karlshorster Kneipe nahe dem Bahnhof verdreht nur die Augen. "Die Russen? Die vermisst hier keiner!" Aber etwas erzählt sie dann doch. Wie sie als Kind im "Russenmagazin" - dem russischen Laden vor dem Kasernengelände - immer Konfekt und Tomatenketchup gekauft hat - Einkäufe, die bis zum Schluss offiziell verboten blieben. Wie ihre Oma zu ihr gesagt hat, sie solle sich von dem Munitionsdepot in dem Waldgebiet Wuhlheide fernhalten, "sonst explodiert da was". Und dass die Soldaten ihr immer sehr harmlos vorkamen, wenn sie sie denn mal beim Sport sah: "Das waren doch halbe Kinder, die da durch den Wald gerannt sind", war ihr Eindruck.

"Offiziell waren das unsere Freunde, aber tatsächlich waren sie eben unsere Besatzer", erklärt Günter Bergner, pensionierter Lehrer und Karlshorster Heimatforscher, das schwierige Verhältnis zu den sowjetischen Truppen. Besatzer, die keine Kontakte zu der deutschen Bevölkerung haben sollten - was anscheinend nicht immer durchgesetzt wurde. Während die Soldaten nur in seltenen Fällen und dann in Begleitung eines Ranghöheren ihr Kasernengelände verlassen durften, wohnten die Offiziere in Villen in der Nähe des sowjetischen Sperrgebiets und konnten sich frei in Karlshorst bewegen. "In den Häusern rund um die Russen wohnten vornehmlich regimetreue deutsche Genossen - da wird es schon den ein oder anderen Kontakt über den Gartenzaun gegeben haben", mutmaßt Bergner. Nur trifft man in Karlshorst kaum jemanden, der einem dies aus persönlicher Erfahrung bestätigen möchte.

Ingrid Meyer ist eine der wenigen, die sich positiv über die scheinbar vergessene Zeit äußert. "Ich fand es schade, als die damals abgezogen sind", sagt die Pensionärin, die seit 1953 in Karlshorst wohnt. Für sie gehörten "die Uniformierten und die russischen Frauen" zum vertrauten Karlhorster Stadtbild. Einmal hat sie sogar ihr Klavier an ein Truppenmitglied verkauft. Und sie fügt entschuldigend hinzu: "Wir heben diese Zeit nicht in den Himmel, aber erinnern darf man sich doch, oder?" "Man muss", verbessert ihr Mann.

Geblieben sind auch russische Soldaten und Offiziere - aber wohl nicht in Karlshorst selbst. Diejenigen, die nicht zurück wollten in eine ungewisse Zukunft, die desertierten, sind schwer zu finden. "Es sind einige illegal hier geblieben", bestätigt Heike Marquardt, Ausländerbeauftragte vom Bezirksamt Lichtenberg, den Eindruck vieler Karlshorster. Zahlen und Namen kennt jedoch auch sie nicht. "Zwischen 1991 und 1992 gab es viele Deserteure, dann flaute es langsam ab", sagt Jewgenij Simanowitsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum Karlshorst.

Das Museum ist eine der wenigen Gebäude in Karlshorst, das aktiv an die sowjetische Vergangenheit erinnert. Früher das "Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941-45", wurde es nach der Wende in ein deutsch-russisches Gemeinschaftsprojekt umgewandelt, das heute vor allem die schrecklichste Periode der gemeinsamen Beziehungen - den Zweiten Weltkrieg - darstellt.

Andere Häuser, wie die ehemalige russische Schule, der russische Laden "Univermag" oder das gesamte Kasernengelände erinnern - ähnlich dem Elisabeth-Hospital - vornehmlich durch Verfall, durch Überwucherung, durch zugenagelte Fenster an die sowjetische Periode von Karlshorst. Mit der Zeit werden auch diese letzten Zeugen der Vergangenheit verschwinden, wenn die strittigen Eingentumsverhältnisse mancher Häuser geklärt sind und der Bund sich entscheidet, was mit seinen Liegenschaften passieren soll.

In der "Russenoper", gleich hinter der S-Bahn-Strecke, trafen sich früher die Offiziere zu Theaterabenden. Heute ist in dem gelben Gebäude das "Theater Karlshorst" untergebracht. An manchen Lichtschaltern stehen die Bezeichnungen für die Bühnenbeleuchtung noch auf kyrillisch und auf deutsch - ein allerletztes Überbleibsel der Vorbesitzer. Den "Eisernen Vorhang" sollen sie bei ihrem Abzug mitgenommen haben.

Dorothea Siegle

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