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Berlin: Die Sozial-Ingenieure

Der Innensenator warnt vor Ghettos in Berlin. In Problemkiezen arbeiten Quartiersmanager, Polizei und Ämter gegen Kriminalität. Ihre Erfolge sind mühsam errungen

Erfolge kommen in ganz kleinen Schritten. Davon kann Klaus-Henning Dehne vom Verein „Soldiner Kiez“ ein Lied singen. Ein Erfolg sei es, wenn es gelinge, aus einem Elefanten wieder eine Mücke zu machen, sagt Dehne. Da seien zum Beispiel diese zwei verfeindeten Familien gewesen. Sie redeten nicht mehr miteinander, obwohl niemand mehr wusste, weshalb sie sich eigentlich zerstritten hatten. Diese Leute hat der Verein zusammengebracht und halbwegs versöhnt. „Negativ zieht negativ“, sagt Dehne. Deshalb müsse man sowas sofort ausbremsen. Der Verein bekam im vergangenen September den Präventionspreis 2003 für seine Arbeit auf den Gebieten Gewalt- und Kriminalprävention.

Der Soldiner Kiez in Wedding gehört zu den problematischen in Berlin; ein hoher Ausländeranteil, viele Straftaten, hohe Arbeitslosigkeit und eine Jugend ohne Perspektive kennzeichnen ihn. Es ist eine der neun Gegenden, die Innensenator Ehrhart Körting (SPD) in seiner kürzlich veröffentlichten Landkarte als Problemgebiete auswies und bei denen er eine Ghettobildung fürchtet.

Dehnes Schilderung der zwei Familien klingt harmlos. Warum sie es nicht ist, schildert der Polizeibeamte Henry Maiwald aus einem anderen Problemviertel: Schöneberg-Nord. „Wir hatten auch zwei verfeindete Familien, deren Kinder sich prügelten. Täglich mussten wir Einsätze fahren.“ Das sei für die wenigen sozial stabilen Mieter extrem belastend gewesen. „Und wir können uns nicht leisten, dass die wegziehen. Denn dann kippt das Viertel“, sagt Maiwald. Die Polizei erreichte, dass für eine der beiden Familien woanders eine Ersatzwohnung gefunden wurde, seitdem herrscht Ruhe. Das zeigt auch: Die Polizei hat den größten Erfolg mit Arbeiten, die eigentlich gar nicht zu ihren Aufgaben gehören. Klassischerweise werden die Beamten aktiv, wenn etwas schief gelaufen ist. Dann schreiben sie Anzeigen und ermitteln. Immer mehr aber werden Polizisten zu Sozial-Ingenieuren. Maiwalds Abschnitt hat seit sechs Jahren ein vierköpfiges Präventionsteam, das Beteiligte zusammenbringt, Jugendamt, Ausländerbehörde, Quartiersmanager. Zahlen über verhinderte Straftaten gibt es natürlich nicht. „Vorbeugungserfolge lassen sich schlecht messen“, sagt Maiwald.

Was sich aber messen lässt, ist die „Abstimmung mit dem Möbelwagen“, wie Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) es nennt. Sein Bezirk hat mit die größten Probleme. Nicht integrierte Ausländer leben neben inländischen „Multiproblemfamilien“. Buschkowsky: „Dritte Generation Sozialamt, Kind mit 14 schwanger, Freitagabend prügelt der Mann betrunken Frau und Tochter, damit sie wissen, dass sie einen Mann und Vater haben“, sagt Buschkowsky, und: „Da sagen die besseren türkischen Familien natürlich: Das ist eure Leitkultur? Die wollen wir nicht.“

Buschkowsky setzt auf Miteinander. „Dieses isolierte Nebeneinanderherleben muss aufhören“, sagt er. „Wir organisieren Nachbarschaften. Damit man sich kennt.“ Und damit Störenfriede erkannt und benannt werden. „Die Zivilcourage hat zugenommen“, sagt Buschkowsky. Er meint vor allem das Rollbergviertel, in dem die Verbesserungen spürbar seien, und wertet das als Erfolg des dortigen Quartiersmanagements. Das wurde 1999 eingeführt, vier Büros kümmern sich um Neukölln, 17 Quartiere gibt es in ganz Berlin. Ausreichend sei das nicht. „Hier in Neukölln sammelt sich ein solcher sozialer Sprengstoff“, sagt der Bürgermeister. „Wir müssen noch mehr tun, sonst fliegt uns das bald um die Ohren.“

Fatina Keilani

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