zum Hauptinhalt

Berlin: „Die Spuren der Teilung fehlen uns heute“

Wie soll Berlin an die Mauer erinnern? Kultursenator Thomas Flierl und Tourismus-Manager Hanns Peter Nerger im Streitgespräch

Am Checkpoint Charlie steht jetzt eine Mauerinstallation. Was halten Sie davon?

FLIERL: Es ist die falsche Lösung für das reale Problem, wie nach der Mauer an die Zeiten der Teilung im Stadtraum erinnert werden soll. Der Checkpoint Charlie ist nicht der richtige Ort, um an alle Toten der deutschdeutschen Grenzen mit einem zentralen Mahnmal zu erinnern. Dafür gibt es die Gedenkstätte Bernauer Straße mit Dokumentationszentrum. Es ist absurd, wenn sich das private Museum am Checkpoint Charlie nun seinen eigenen Hausaltar schaffen will.

NERGER: Die Installation ist die logische Folge auf die Untätigkeit der Politik. Es gab eine Leerstelle und jemand hat sie ausgefüllt. Sicher kann man über die rekonstruierte Mauer streiten. Die Kreuze aber sind deutlich besser, eindringlicher, als alles, was dieser Ort bisher zu bieten hatte. Man kann sich ihrer Wirkung nicht entziehen. Es ist das erste Mal, dass es jemand geschafft hat, die Grausamkeit des Grenzregimes sinnlich darzustellen.

Hat Berlin zu wenig Originalmauer?

FLIERL: Ja, offenkundig. So verständlich es damals vielleicht war, mit dem Abbruch der Grenzanlagen 1990 die Unumkehrbarkeit des historischen Prozesses zu verbürgen, so sehr fehlen uns heute an bestimmten Orten der Stadt diese Spuren der Teilung. Es gab Bemühungen, größere Teile der Mauer zu erhalten. Die Initiativen hatten aber im Einigungstaumel keine Chance. Für die historische Erinnerung sind aber Brüche, Verwerfungen und Störungen im Stadtbild entscheidende Anhaltspunkte. Die fehlen heute.

NERGER: Dass sie fehlen, stimmt. Aber sie fehlen nicht, weil Berlin zu wenig Originalmauer hat. Nur sagen die Mauerreste, die wir heute haben, eben nichts mehr über ihre Wirklichkeit zur DDR-Zeit aus. Die Anhaltspunkte fehlen, weil es kein durchdachtes und glaubwürdiges Gesamtkonzept gibt, wie man an diese Zeit erinnern will.

Kritiker empfinden das Gedenken an das SED-Regime als konzeptionslos. Wie muss eine Gedenkstättenkonzeption aussehen?

FLIERL: Ein Gedenkstättenkonzept für Berlin muss das ganze „kurze Jahrhundert der Extreme“ vom Ersten Weltkrieg bis zur Maueröffnung und zur deutschen Vereinigung umfassen. Es stimmt ja, dass die Besucher über den damaligen Zustand des Checkpoint Charlie zu wenige Informationen erhalten. Aber: Für das Scheitern des Gedenkens dort ist nicht die mangelnde Bearbeitung des DDR-Erbes verantwortlich, sondern die Berliner Politik der neunziger Jahre. Immerhin, besteht heute ein breiter politischer Konsens darüber, dass Orte wie der Checkpoint Charlie nicht unprofessionellen Privatinitiativen gehören darf.

NERGER: Es mag sein, dass die Berliner Politik diese Art des Gedenkens mehrheitlich ablehnt. Die Touristen tun das nicht. Das muss man sich klarmachen.

Herr Nerger, wie kann eine Gedenkstättenkonzeption für Berlin aussehen?

NERGER: Sie muss das Sinnliche berücksichtigen. Begleitend wünsche ich mir eine seriöse wissenschaftliche Dokumentation, wie sie Topographie des Terrors bietet. Um die zu planen, müssen alle wichtigen Stellen mit ihren Fachleuten eingebunden werden.

FLIERL: Das tun wir derzeit.

NERGER: Diese runden Tische sind bisher Beistelltischchen. Sie haben in dieser Frage kein Ergebnis herbeigeführt. Zudem ist noch die wichtige Frage offen, wer denn eine solche Dokumentationsgedenkstätte betreiben könnte. Eine Stiftung, zum Beispiel? Meiner Meinung nach wäre eine Institution wie das Deutsche Historische Museum geeignet. So würde man das Problem einer politisch gefärbten Betrachtung umgehen.

Wer ist in der Pflicht?

NERGER: Der Senat muss Vorschläge machen. Die Politik ist ja schon ziemlich lange säumig – unabhängig von den jeweils regierenden Parteien.

FLIERL: Das Gedenken an die deutsche Teilung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Deshalb finanziert auch der Bund die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Das Land Berlin hat mit der Markierung des Mauerstreifens, den Informationstafeln, der künstlerischen Gestaltung der ehemaligen Grenzübergänge, den verschiedenen Gedenkorten für die Mauertoten und die Erschließung des Mauerstreifens als Radwanderweg Spürbares geleistet. Berlin hat sich für ein dezentrales, topographisch genaues Gedenken engagiert. Auch diese Angebote finden das Interesse von Berlin-Besuchern. Zentrale Mahnmale zu diesem Thema in der Hauptstadt sind Bundessache. Nach dem Stand der Diskussion sieht der Bund die Angelegenheit mit der künstlerischen Gestaltung der Gedenkstätte Bernauer Straße als erledigt an.

Wie sehr muss man bei einem Mahnmalkonzept an die Touristen denken?

FLIERL: Die Geschichte der Berliner Teilung gehört nicht allein den Berlinerinnen und Berlinern. Viele Berlin-Touristen haben ein besonderes historisches Interesse an der Stadt. Das sollte uns herausfordern, die Qualität der öffentlichen Angebote zu befragen, die uns und unseren Gästen Berlin verständlich machen.

NERGER: Tourismus ist für diese Stadt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ich habe eine neue Untersuchung vorliegen, die bestätigt: Touristen, die nach Berlin kommen, erwarten, die Mauer zu sehen oder etwas über sie zu erfahren. Erst an zweiter Stelle kommt das Brandenburger Tor. Man muss dieses Bedürfnis bedienen, wenn man touristisch erfolgreich sein will. Sonst wird man unglaubwürdig. Die Vermarktung hat Grenzen. Auch wenn man überdreht, wird man unglaubwürdig. Um aber auf die Installation am Checkpoint Charlie zurückzukommen: Seit sie zu sehen ist, sind die Reaktionen, nach allem, was ich weiß, überwiegend positiv – von Berlinern und Touristen. Sie muss also glaubwürdig sein.

Wann wird es ein Konzept geben?

FLIERL: Auf Berliner Ebene können wir eine bessere Vernetzung der bestehenden Einrichtungen anstreben. Ein Gedenkstättenkonzept kann es nur gemeinsam mit dem Bund geben. Ich werde zu einem Colloquium einladen, auf dem das Gedenken an die Teilung thematisiert wird. Die gegenwärtige Situation entspringt nicht der Weigerung des rot-roten Senats, sondern der nachhaltigen Fehlentscheidungen jener, die heute besondere Empörung über die Situation zeigen.

NERGER: Ich denke, es gibt ein anderes Problem als den schieren Willen. Touristen reisen ab, Berliner bleiben. Aber die Berliner wählen, und zwar schon 2006 wieder. Die DDR-Geschichte der Stadt ist ein heikles Thema. Deshalb glaube ich nicht, dass es vor der Wahl ein Konzept geben wird.

Wird Alexandra Hildebrandt beteiligt?

NERGER: Man könnte sie leicht übergehen, aber das wäre nicht klug.

FLIERL: Gegen gestalterische Nötigungen in öffentlichen Bereichen kann sich das Gemeinwesen behaupten. Andererseits muss die Meinungsfreiheit respektiert werden. Es war ein Fehler von Anfang an, dass es nicht gelang, das private Museum am Checkpoint Charlie und die Gedenkstätte an der Bernauer Straße zu integrieren. Vielleicht steigen durch die aktuelle Debatte die Chancen, dass sich das ändert.

Die Fragen stellte Marc Neller

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false