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Bloß nichts fallen lassen. Die Teilnehmerinnen in der Kategorie Kellnern laufen um die Wette.

© dpa

Die Stadt als Wohnzimmer: Der Mai lockt über eine Million Besucher nach Berlin

Endlich Sommer. Besucher und Einheimische tummelten sich am Wochenende bei bestem Wetter auf Berlins Straßen. Und das war erst der Anfang.

Die Mai-Sonne kitzelt nicht nur die Berliner aus dem Winterschlaf, auch die Touristen strömen dieser Tage in Massen in die Stadt. Insgesamt sollen am Wochenende etwa 1,5 Millionen Besucher in der Stadt unterwegs gewesen sein. „Der Mai ist einer der besucherstärksten Monate“, sagt Visit-Berliner-Sprecher Christian Tänzler. Das vergangene Wochenende mit dem Myfest war da nur der Anfang, denn die Tourismus-Experten rechnen mit einem besonders starken Monat, weil auch der Pfingstmontag in den Mai fällt. Schon am Sonntag brummte die Stadt vor Menschen – trotz des verkaufsoffenen Sonntags vor allem unter freiem Himmel.

Der Bebelplatz vor der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität war in eine Freiluft-Bibliothek verwandelt worden. Mutter und Sohn schaukeln Arm in Arm auf einer roten Hängematte in der Sonne. Auf dem Schoß das Kindersachbuch „Was ist Was – Das Geheimnis der Tiefsee“. „Lies du mir vor“, sagt der Junge zu seiner Mutter auf und schließt genüsslich die Augen. Bis gestern hatte die Österreichische Unesco-Kommission hatte am Bebelplatz das Open-Air-Lesewohnzimmer eingerichtet. „In unserer eigenen Wohnung in Schöneberg wohnen wir im Erdgeschoss und kriegen nicht so viel Sonne ab“, erzählt die Mutter. Auch die Auswahl an Kinderbüchern gefalle ihr.

Umsonst und draußen lesen

Zwischen Hängematten und rosa, roten, und grünen Sitzsäcken stehen zwei schwarze Türme voll mit Büchern. Über 3000 sollen es sein. Eine junge Frau mit Jutebeutel ist tief in einen der bunten Säcke eingesunken, den Kopf Richtung Sonne: „Ich finde es toll, wenn es etwas umsonst und draußen gibt – und das ganz ohne Konsumgedanken.“ Die 25-jährige Studentin Stefanie Morgen sitzt zum Lesen normalerweise nicht weit vom Bebelplatz in der Universitätsbibliothek. Hier draußen müsse sie zwar trotzdem die „Einführung in die Soziologie“ von Alfred Weber lesen, doch lasse es sich bei Sonnenschein und Leben um sie herum viel besser aushalten.

Kaum einen Kilometer weiter lässt ein Rentner den Blick über den Platz vorm Brandenburger Tor schweifen und wundert sich: „Bald muss man das hier schon den Pferdeplatz nennen“, murmelt er seiner Frau zu. Zu den Quadriga-Rössern hoch oben auf dem Brandenburger Tor haben sich zwanzig Pferdeskulpturen aus Marmor, Eisen und Bronze gesellt. Der mexikanische Künstler Gustavo Aceves, 83, will mit seiner Open-Air-Ausstellung „Lapidarium – Grenzen überwinden“ auf die Nöte afrikanischer Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa aufmerksam machen. Noch bis zum kommenden Sonntag werden die geschundenen Pferdeskulpturen am Brandenburger Tor zu finden sein. Im Bezirk hat die Ausstellung allerdings Unmut hervorgerufen: Das zuständige Gremium „Kunst am Bau“ hatte empfohlen, die Skulptur nicht aufzustellen.

Doch den Besuchern scheint’s zu gefallen. „Das Brandenburger Tor ist ja Standard, aber wenn es dann noch eine Ausstellung dazu gibt, ist das umso schöner“, sagt eine Frau, die mit ihren Freundinnen übers Wochenende aus Dortmund zu Besuch ist. „Das könnte man ruhig öfter machen“, sagt auch ein gebürtiger Berliner, der zusammen mit seiner Frau hier ist. „Hauptsache die versperren das Brandenburger Tor nicht wieder mit Reklame von Coca Cola.“ Die Skulpturen regen zum Nachdenken an, findet auch seine Frau. Weniger nachdenklich, dafür eher pragmatisch nutzt eine Gruppe italienischer Touristen die Pferdeskulpturen. Die Sockel der Tiere sind die perfekte Ablage für die Digitalkamera der Gruppe: Linse Richtung Brandenburger Tor, Selbstauslöser drücken und fertig ist das perfekte Berlin-Foto.

Sahne schlagend zur Ziellinie

Auch auf dem Ku’damm haben Zuschauer am Sonntag die Kamera gezückt, um dieses Spektakel festzuhalten: Fünf junge Männer sprinten los, schnippeln Erdbeeren, schlagen Sahne und hasten mit vollen Schalen wieder zurück zur Ziellinie. Was nach Kindergeburtstag klingt, hat in Berlin lange Tradition. Bereits in den 1950er Jahren veranstaltete der Gastronom Emil Remde jedes Jahr ein Kellnerderby auf dem Kurfürstendamm. Seit 2011 rennen Köche und Kellner der Berliner Gastronomie auf 400 Metern wieder um die Wette – Sahne schlagend, Cocktail mixend und Biere balancierend. Wer die schnellsten und schönsten Produkte hinter die Ziellinie bringt, gewinnt ein Preisgeld. Ob die Kellner und Köche damit wirklich die schnellsten ihrer Disziplin sind, entscheidet auch das Publikum: „Jungs, die Sahne hätte ich euch aber schneller geschlagen“, ruft eine Zuschauerin bei der Preisverleihung in die Menge.

Luisa Jacobs

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