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Berlin: Die Stunde der Sieger

13 000 Italiener leben in Berlin. Die Fußballbegeisterten unter ihnen haben es heute schwer – ihre deutschen Partner auch

Seit zwei Tagen ist Giovanni anders als sonst. Nicht mehr so charmant, nicht mehr so herzlich. Und manchmal rutscht ihm das Wort „Crucchi“ raus – so nennen Italiener die Deutschen, wenn sie es nicht sehr liebevoll meinen. „Zum Glück ist das Spiel am Abend vorbei“, sagt Martina Schneider. Die Berliner Studentin ist mit dem Italiener liiert – einem von rund 13 000 in der Stadt. „Keine gute Kombination derzeit. Vor allem, wenn sich beide für Fußball interessieren.“ Seit feststeht, dass Deutschland im Halbfinale auf Italien trifft, zählt ihr Giovanni am liebsten die letzten Siege seiner Mannschaft auf. In chronologischer Reihenfolge. Martina wehrt sich mit Geschichtsdaten: „Da sag ich nur: Teutoburger Wald“. Dort unterlagen die Römer germanischen Truppen – im Jahr 9 nach Christus. Die Wogen werden sich hoffentlich bald wieder glätten, grinst Martina. Ein Fortführen der Beziehung sei „zumindest nicht ganz ausgeschlossen“.

Harmonischer geht es heute Abend im italienischen Restaurant „Osteria Numero Uno“ in der Kreuzbergstraße zu. Geschäftsführer Fabio Angilé zeigt alle WM-Spiele auf der Großbildleinwand – und das Halbfinale erstmals im Zwei-Kanalverfahren: Wenn Deutschland angreift, läuft das ZDF. Wenn die Italiener an den Ball kommen, wird auf deren Sender Sky umgeschaltet.

Wahrhaftig in der Zwickmühle ist Angela Parrella. Die gebürtige Berlinerin hat eine deutsche Mutter und einen italienischen Vater. Und heute Abend „zwei Seelen in meiner Brust“. Um den Familienfrieden nicht zu stören, muss sie sich genau überlegen, was sie sagt. Auch bei der Arbeit geht sie diplomatisch vor: Sie verkauft Autos von Fiat. „Dauernd fordern die Kunden, dass ich mich eindeutig positioniere.“ Das Spiel schaut sich Parrella bei ihren Eltern in Lichtenrade an. Und damit es dort keinen Zoff gibt, hat ihre Mutter sogar das Essen paritätisch zusammengestellt: Es wird Pizza und Kartoffelsalat geben.

Fabio Angilé von der Osteria Numero Uno sieht dem Abend viel gelassener entgegen. Er ist sich sicher: Am Ende des Spiels wird er jubeln. Das liege an seiner Fähigkeit, einen Teil der eigenen Identität kurzfristig auszublenden. „Wenn Deutschland gewinnt, freu’ ich mich mit den Deutschen. Und wenn Italien gewinnt, mit denen. Auf jeden Fall stehe ich auf der Siegerseite.“

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