zum Hauptinhalt

Berlin: Die Verantwortung des Schützen

Bei der Busentführung erwog die Polizei den „finalen Rettungsschuss“ - doch er hätte die Beamten in eine schwierige rechtliche Situation gebracht

Die Beamten bekamen die Lizenz zum Töten schriftlich. „Eine Nothilfesituation für einen gezielten finalen Rettungsschuss liegt vor“, teilte ihnen Einsatzleiter Martin Textor am Freitag offiziell mit und stärkte so seinen Präzisionsschützen und Sonderkräften am entführten Bus rechtlich den Rücken. Mehr konnte der Chef des Führungsstabes im Polizeipräsidium angesichts der Gesetzeslage in Berlin für sie nicht tun.

Seine Männer mussten nun selbst entscheiden und vor allem persönlich verantworten, wie sie den Täter außer Gefecht setzten: Indem sie ihn überwältigten und sein Leben schonten oder mit einer Kugel in den Kopf – mit dem so genannten finalen Rettungsschuss. Sie wählten die erste Variante.

Der Chef des Spezialeinsatzkommandos (SEK), Martin Textor, hätte auch im Falle eines Todesschusses lieber selbst die Verantwortung für seine Beamten übernommen, schon alleine, um sie beim Einsatzs nervlich zu entlasten. In allen anderen Bundesländern wäre das möglich gewesen, weil deren Polizeigesetze den finalen Rettungsschuss erlauben und er folglich von den Einsatzleitern verantwortlich angeordnet werden kann vorausgesetzt, das Leben von Verbrechensopfern ist bedroht.

Doch in Berlin wird der Waffengebrauch durch die Polizei anders geregelt. Das „Landesgesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges“ ermächtigt die Beamten nicht zum tödlichen Schuss. Ihnen bleibt nur der Ausweg über das im Strafgesetzbuch verankerte und deshalb übergeordnete Nothilfe- und Notwehrrecht. Beruft sich ein Polizist auf eine Situation, in der er Menschen in Not beistehen musste, kann er auch in Berlin tödliche Schüsse zur Rettung von Geiseln rechtfertigen. Deshalb wies Einsatzchef Textor seine Spezialkräfte auf diese Möglichkeit hin. Doch sie hat eine Tücke: Der Schütze muss die Verantwortung für sein Handeln beim Nothilferecht persönlich tragen. Seit Jahresbeginn erleichtert das Land allerdings die Last: Berlin haftet zumindest zivilrechtlich für die Folgen eines Rettungsschusses.

„Der Busentführer war schwerstkriminell und hatte eine Pistole. Nothilfe war gerechtfertigt“, sagt Einsatzchef Textor. Solche dramatischen Situationen hat der Experte öfter erlebt, beispielsweise im April 1999, als ein Algerier in Kreuzberg ein Kind mit dem Messer bedrohte. „Ganz knapp“ habe man da vor dem finalen Schuss gestanden, so Textor. Doch bisher erschossen SEK- Beamte erst ein Mal einen Verbrecher: 2001 bei einem Einsatz in Lichtenberg. Damals stürmte ein Räuber mit gezogener Pistole auf sie zu. CS

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false