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Berlin: Die Welt zu Gast in Kreuzberg

Ab Freitag ist wieder Karneval der Kulturen. Der Straßenumzug wird so groß wie nie

Nur in Peru wird gearbeitet. Ganz hinten am Fenster bemalt jemand eine Inkamaske aus braunem Pappkarton. Die Bastelecken von Kolumbien, Bolivien, Italien und Brasilien sind verwaist. Heute ist Ruhetag in der alten Kreuzberger Werkhalle. Die Ruhe vor dem Straßensturm.

Dieses Wochenende wird wieder Karneval der Kulturen gefeiert. Am Freitagnachmittag beginnt das Straßenfest mit Musikbühnen rund um den Blücherplatz, abends geht die Party in den nahe gelegenen Clubs weiter. Und am Pfingstsonntag zieht die große Parade über die Gneisenaustraße. Es ist der elfte Karneval der Kulturen, und wie jedes Mal wird es der bislang größte. Seit 1996 kommen jährlich rund 20 neue Gruppen dazu. Diesmal sind es mehr als 100 – aus 70 verschiedenen Ländern. Ganz vorneweg tanzt traditionell die brasilianisch-deutsche Gruppe „Afoxé Loni“, die symbolisch die Straße reinigt, das Schlusslicht bilden die Drum’n’Bass-Spezialisten „hard:edged“ aus Berlin. Profikarnevalisten mischen sich mit privaten Trommelgruppen und Austauschschülervereinen. Jeder darf mitmachen, alle raus auf die Straße – das ist Berlin!

Bis es losgeht, muss aber noch einiges erledigt werden: In der Kreuzberger Werkhalle stapeln sich bemalte Holzplatten am Boden, eine dickbusige Dame aus Pappmaché steht am Fenster und auf einem Metallgestell trocknet seit gestern ein italienisches Dorfpanorama. Gerade trudeln die Brasilianer ein. Die Gruppe Capitães de Areia, die „Herren des Strandes“, sind die Oldies unter den Kultur-Karnevalisten und schon seit dem ersten Mal dabei. In den Anfangsjahren konnten die Zuschauer noch selbst auf den Wagen klettern und auf der Ladefläche mittanzen, mittlerweile steht dort eine alles überragende Bühne, auf der die Liveband spielt. Vor dem Wagen tanzen die Capoeirista – und das Volk hinterher. Das Karnevalsthema der Capitães de Areia ist dieses Jahr, wie könnte es anders sein, Fußball. „Eigentlich wollen wir auf unserem Wagen vor allem Fans abbilden“, sagt Liane Kirsch, die Leiterin der Gruppe. Aber auf einer Spanplatte hat sich auch ein lachender Ronaldinho untergemischt. Darunter ein Schild: „Bonne Chance!“ Der Capoiera-Trainer Mestre Léo Gonçalves schaut sich den Wagen an, schwingt dabei seine Hüften zum Warmwerden. Gleich ist Training. Capoiera und Fußball, das liege den Brasilianern im Blut, erklärt Gonçalves. „Die Deutschen tun sich mit beidem ein bisschen schwerer.“ Die Angolaner haben noch ganz andere Sorgen: Der Transporter für den Umzug ist inzwischen organisiert, aber Bretter, um den Laderaum nach den Seiten abzusichern, fehlen noch. „Egal, wir haben alles im Griff“, sagt Teammitglied David. Die Laune will er sich nicht verderben lassen. Seine Tänzer sind ein eingespieltes Team, ein DJ wird angolanische Hits auflegen – und 60 Euro für die Bretter werden sie auch noch zusammenkriegen.

Auch beim Fest-Veranstalter „Werkstatt der Kulturen“ arbeiten Optimisten. 1,5 Millionen Besucher erwarten sie insgesamt an den vier Tagen, das wären so viele wie in den Vorjahren. Dass wegen des Amoklaufs bei der Einweihung des Hauptbahnhofs nun Leute zu Hause bleiben könnten, glauben die Veranstalter nicht. Die Polizei will am Wochenende „genauso präsent sein wie immer“. Auch ansonsten wollen die Veranstalter nichts am erfolgreichen Konzept der Vorjahre ändern: Beim Umzug laufen die Live-Tanzgruppen vorneweg, am Ende fahren die großen Soundsysteme. Die Riesen lassen den Zwergen den Vortritt, sagt eine Mitveranstalterin. „Aus Respekt, weil die Kleinen auch ohne Verstärker Stimmung machen können.“

Respekt und Toleranz stehen beim Karneval sowieso im Vordergrund, vor allem zwischen den Kulturen. Und was jedes Jahr beim Karneval klappe, lasse sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen, heißt es. Ein Spruch, den die Organisatoren auf T-Shirts gedruckt haben, lautet daher „Be part of the Leitkultur“. Gegen Leiten habe man nichts, sagen sie. Es komme nur darauf an, wohin.

Johanna Lühr

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