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Berlin: Dienst am Laser

Auch im Sommer dürfen bei Polizisten keine Tätowierungen sichtbar sein. Viele müssen vor der Einstellung noch unter den Laser. Das ist schmerzhaft – und teuer.

Knackende Geräusche, kurze Lichtblitze, zwei Männer mit Schutzbrille und ein ausgestreckter Arm. „Ars vivendi“ steht da in verschnörkelter Schrift auf dem Unterarm – die Kunst zu leben. Noch ist der Schriftzug ziemlich gut lesbar, aber nicht mehr lange, hofft Mark (Name geändert). Er möchte diese Tätowierung nicht nur loswerden, er muss sogar. Sonst kann er die Karriere als Polizist vergessen.

Während sich am Wochenende wieder Tausende bei der Tattoo Convention ausgefallene Tätowierungen stechen lassen, wächst die Gruppe derjenigen, die ihre dauerhafte Körperbemalung wieder loswerden möchten.

Viele von ihnen sind angehende Polizisten oder Polizeikommissar-Anwärter, wie es in Marks Fall heißt. Denn sichtbare Tätowierungen sind in staatlichen Institutionen wie der Polizei nicht gestattet, auch wenn diese Regel von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt wird. „In Sommerkleidung sichtbare Tätowierungen stehen grundsätzlich einer Einstellung entgegen“, heißt es in den Einstellungsvoraussetzungen der Polizei in Berlin. Ferner seien Tätowierungen mit politischen, frauenfeindlichen oder gewaltverherrlichenden Darstellungen nicht mit den polizeilichen Anforderungen zu vereinen. Die hat Mark zwar nicht, entfernen muss er sein Tattoo aber trotzdem. Und das unter Zeitdruck: Mark musste unterschreiben, dass Tattoo innerhalb eines Jahres zu entfernen. Da sich die Haut aber zwischendurch regenerieren muss und nur alle sechs Wochen gelasert werden kann, dauert das. Mark muss seiner Ausbildungsleitung einen Nachweis schicken, dass die Tätowierung rechtzeitig entfernt wird, sonst kann es zu „Repressiven Maßnahmen“ kommen – Gehaltskürzung oder gar Entlassung. Denn angehende Polizisten sind zunächst nur als „Beamte auf Widerruf“ eingestellt.

Es ist ein langwieriger Prozess. „Wie war die Wundheilung, gab es Probleme?“, erkundigt sich Lasertherapeut Markus Lühr. Er nimmt neben seinem Kunden Platz und legt verschiedene Fotos auf den Tisch. Vor jeder Sitzung hat er das „Ars vivendi“ fotografiert, mit jedem Foto werden die Buchstaben blasser, lesen kann man ihn auch nach zehn Sitzungen allerdings immer noch. „Normalerweise braucht man acht bis zwölf Sitzungen“, sagt Lühr, jede Haut verhalte sich anders. Außerdem hängt die Dauer von der Tiefe des Tattoos, der Farbzusammensetzung und der Qualität der Tätowierung ab.

Langsam führt Lühr den Laser über die Tätowierung. Der Schmerz sei vergleichbar mit dem Stechen des Tattoos, sagt Mark und lacht. Mit 19 konnte er sich nicht vorstellen, später einen Job auszuüben, bei dem er kein Tattoo tragen darf. „Ich wollte auf keinen Fall einen Bürojob, sondern etwas in der Musikbranche, irgendetwas Kreatives. Am besten Rockstar werden“, erzählt er grinsend. Der lateinische Schriftzug „Ars vivendi“ bedeute für ihn, „das Leben zu genießen“, sagt Mark. „Das Tattoo war ein Zeichen dafür, dass die Schule vorbei ist und das Leben jetzt richtig losgeht.“ Das Entfernen seiner Tätowierung bereitet ihm deshalb in doppeltem Sinne Schmerzen: Manche Leute ließen sich ein Tattoo stechen, weil sie es schön finden. Und manche, weil eine Geschichte dahintersteht. „Bei mir ist Letzteres der Fall“, sagt Mark. „In gewisser Weise geht diese Geschichte nun verloren, wenn ich mein Tattoo entferne.“

Ungefähr 20 bis 60 Tattooentfernungen werden in Lührs Studio in der Dudenstraße in Kreuzberg wöchentlich durchgeführt. Jeder zehnte Deutsche hat eine Tätowierung. Jeder Zweite davon möchte sie nach ungefähr zehn Jahren wieder loswerden.

Mark schätzt, dass sich mindestens zehn Leute pro Jahrgang während ihres Polizeistudiums von ihren Tätowierungen trennen müssen. Und diese Zahl bezieht sich nur auf die der angenommenen Polizeikommissaranwärter – die Anzahl der Bewerber, die aufgrund ihrer Tätowierung von vornherein abgelehnt wurden, dürfte deutlich höher sein.

Und die Sache ist kostspielig. Mehr als 140 Euro muss Mark für jede Sitzung bezahlen – viel Geld für einen jungen Menschen in der Ausbildung. Im Diskussionsforum „CopZone“, in dem sich angehende Polizei-, Justiz- und Vollzugsbeamte über ihren Beruf austauschen, ist das Thema Tätowierung eines der am meisten diskutierten.

In Nordrhein-Westfalen wurde ein Polizeibewerber aufgrund seiner Tätowierung erst gar nicht zum Auswahlverfahren zugelassen. Er klagte – mit Erfolg. Bewerber zur Polizeiausbildung dürfen nicht aufgrund ihrer Tattoos vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden, entschied das Aachener Verwaltungsgericht im November vorigen Jahres.

In Berlin sieht man das noch anders. Nach 15 Minuten ist Marks Behandlung auch schon wieder vorbei. Die behandelte Stelle soll er in den nächsten Wochen vor Sonnenlicht schützen, da sie sehr lichtempfindlich ist. Er wird noch einige Sitzungen über sich ergehen lassen müssen, bis ein Teil seiner Vergangenheit verschwunden ist. Manche können es kaum erwarten, andere wie Mark, trennen sich unfreiwillig von ihrem Körperschmuck. Aber er sagt auch: „So wird wieder Platz für eine neue Geschichte.“

Antonia Friemelt

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