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Beriz Tucic, Wachmann.

© Thilo Rückeis

Arbeit an den Feiertagen: Diese Berliner halten die Stadt an Weihnachten am Laufen

Kaffeepause statt Gänsebraten, Kollegen statt Familie – wer arbeitet an Heiligabend? Sechs fleißige Hauptstädter erzählen.

„Meine Arbeit besteht aus Feiern“: Lucas Ludewig, 33, Pfarrer

Arbeit – das ist eigentlich der falsche Begriff für das, was Pfarrer Lucas Ludewig Heiligabend macht. „Die Predigten schreiben und das Krippenspiel einüben, ja, das ist Arbeit“, sagt er. „Aber die drei Gottesdienste, die werden gefeiert.“ Berufsbedingt feiert Ludewig am 24. Dezember dreimal die Geburt des Christkindes. Die Dorfkirche in Alt-Marzahn ist dann so rappelvoll, dass er sogar Menschen wegschicken muss. „Die Herberge ist voll. Genau darum geht es ja im Krippenspiel“, sagt er. Für die Weihnachtsgeschichte findet Ludewig viele Vergleiche aus dem aktuellen Leben. So spricht er in seinen Weihnachtspredigten über Obdachlose, denn auch in Marzahn sei die Wohnungsnot immer heftiger zu spüren. Oder er spricht über Menschen, die aus Kriegsländern geflüchtet sind und sich in einer ähnlichen Situation befinden wie Maria und Josef: Sie suchen eine Herberge.

In seiner eigenen Herberge, dem Pfarrhaus schräg gegenüber der Dorfkirche, feiert er nach den zwei Gottesdiensten am Nachmittag und vor der Mitternachtsmette ein weiteres Mal mit seiner Frau und seinen zwei Kindern, die gespannt darauf warten, dass das Christkind mit Geschenken kommt.

Lucas Ludewig, Pfarrer.

© Sarah Murrenhoff

"Die meisten wollen ihr Kind nicht an Weihnachten bekommen": Lea Marie Gosen, 24, Hebamme

Die Psyche der Frauen ist rätselhaft, sagt Lea Marie Gosen. „Sie können eine Geburt durchaus ein paar Tage hinauszögern“, erzählt die Hebamme. „Die meisten wollen ihr Kind nicht an Weihnachten bekommen.“ Manchmal passiert es aber doch: Wer im Geburtshaus Charlottenburg am Spandauer Damm entbindet, kann sich darauf freuen, dort auf eine so behutsame Hebamme wie Gosen zu treffen. Egal, ob an Heiligabend oder jedem anderen Tag: „Ich verspüre immer wieder einen Zauber, wenn ich Paare und insbesondere Frauen bei dem wahrscheinlich prägendsten Erlebnis ihres Lebens begleite.“ Zum Beispiel im Geburtsraum „Afrika“ mit seinen duftenden Kerzen und den Holzmöbeln, wo Gosen jetzt auf dem Bett sitzt, erzählt, viel lacht. „Ich habe keine Kinder und bin daher flexibel. Mein Freund und meine Familie sind wegen meines Berufs sowieso auf kurzfristige Planänderungen eingestellt.“

Heiligabend macht sie tagsüber ein paar Hausbesuche, danach hat sie Rufbereitschaft. „Wenn kein Anruf kommt, bin ich bei meiner Familie und esse Gans.“ Das Handy bleibt aber immer in ihrer Nähe. Und bei 320 Geburten im Jahr ist die Chance recht hoch, dass es doch noch klingelt. Psyche hin oder her.

Lea Marie Gosen, Hebamme.

© Sarah Murrenhoff

"Heiligabend wird gerne mal irgendwo eingebrochen": Beriz Tucic, Sicherheitskraft

Je stiller die Nacht, desto mehr denkt Beriz Tucic an seine Familie. Wahrscheinlich auch daran, wie sie weiterfeiern, während der 21-Jährige abends und nachts das Gebäude von „Zeit Online“ am Anhalter Bahnhof bewacht. Von 19.30 Uhr bis 6 Uhr morgens ist er als Wachmann für die Firma GS-Protection im Dienst. Wie bereits im vergangenen Jahr kommen seine Frau und ihre Familie nachmittags zu seinen Eltern, damit auch Tucic bei Bescherung und Weihnachtsessen – Gans oder Ente mit Klößen – dabei sein kann.

Danach geht es zur Arbeit. Da beobachtet er zunächst einmal viel. Mit einer Engelsgeduld. Aber in den richtigen Momenten muss er konzentriert sein, zum Beispiel, wenn er auf seiner Streife ums Gebäude verdächtige Personen sieht. „Heiligabend wird gerne mal irgendwo eingebrochen“, sagt Tucic. „Einbrecher wissen, dass alle zu Hause sitzen und Weihnachten feiern.“

Ansonsten sieht Tucic das größte Risiko in Leuten, die ein paar Bierchen zu viel getrunken haben. „Ich sehe zu, dass sie sich nicht an der Fassade übergeben“, sagt er und lacht. Im Großen und Ganzen dürfte seine Schicht aber ruhig werden. Silvester hat er dafür frei.

Beriz Tucic, Wachmann.

© Thilo Rückeis

"Bei uns reißen sich die Mitarbeiter darum, zu arbeiten": Simon Rief, 30, Kino Delphi Lux

Zum ersten Mal verbringt Simon Rief Weihnachten nicht bei seiner Familie in München. Ganz bewusst. Denn im Delphi Lux am Zoo, dem neuesten Kino der Yorck-Gruppe, reißen sich die Mitarbeiter angeblich darum, Heiligabend zu arbeiten. „Nicht, um vor Weihnachten zu flüchten. Sie haben einfach Lust auf diese ganz besondere Stimmung“, sagt der Assistent der Theaterleitung. Die Atmosphäre sei einerseits festlich, mit Tannenbaum, Begrüßungssekt und weihnachtlicher Musik. Andererseits biete das Arthouse-Kino eine Alternative zum klassischen Weihnachtsabend: Am 24. läuft das ganz normale Programm, keine Sonderveranstaltung mit Sneak Preview und üppigem Buffet.

„Unsere Kinosäle werden dann zum Wohnzimmer“, erzählt Rief. „Es kommen Einzelpersonen, die einfach mit anderen Menschen in einem Raum sitzen möchten.“ Vielleicht, so mutmaßt er, auch jüdische oder muslimische Menschen, die Weihnachten nicht feiern. Um Mitternacht, wenn Rief Feierabend hat, entscheidet er spontan: Stößt er noch zur Weihnachtsfeier der Familie seiner Freundin hinzu oder verschiebt er das auf den nächsten Tag? Je nach Stimmung.

Simon Rief, Kino Delphi Lux.

© Foto: Kai-Uwe Heinrich

"Heiligabend ist ein besonderer Tag, um zu gehen": Maja Fricke, 52, Sterbeamme

Auf die Arbeit am 24. Dezember freut sich Sterbeamme Maja Fricke. Im Neuköllner Hospiz Ricam ist dann richtig was los: Es wird gefeiert, mit Kaffee und Kuchen, viel Singen und Lachen. „Die Patienten wissen natürlich, dass es wohl ihr letztes Weihnachten sein wird. Manche blühen nochmal richtig auf.“ Sie genießen es, mit ihren Partnern oder auch mit den Enkelkindern zusammen zu sein. „Weihnachten ist hier nicht nur traurig, sondern immer auch ein Grund zur Freude.“ Dabei kann es vorkommen, dass Patienten nicht mehr die Kraft haben, an der Feier teilzunehmen. Die Sterbeamme versucht die Angehörigen dann damit zu trösten, dass der 24. Dezember ein besonderer Tag sei, um zu gehen, ein „Himmelsgeburtstag“. Wer Heiligabend stirbt, ist im entscheidenden Augenblick dann meistens nicht allein.

„Es ist ganz individuell, was Menschen brauchen, um in Ruhe zu sterben“, erklärt Fricke. „Das ist wie bei meinen Töchtern, als sie klein waren: Die eine konnte nur einschlafen, wenn ich ihre Hand hielt. Und die andere konnte nur alleine einschlafen.“ Mit ihren Kindern feiert Maja selbstverständlich auch – einen Tag früher, am 23. Dezember.

Maja Fricke, Sterbeamme.

© Sarah Murrenhoff

"Wenn nichts passiert, gucke ich Märchen und esse Kekse": Madlen Haarbach, 28, Tagesspiegel

Der Tagesspiegel-Newsroom am Anhalter Bahnhof kann ziemlich laut und aufregend sein. Hier laufen sieben Tage pro Woche Nachrichten, die Politik- und Berlin-Seiten entstehen und die Homepage und die Sozialen Medien werden von früh bis spät bestückt. Bis zu 30 Kollegen sitzen an den Tischen, irgendwer telefoniert immer, ruft etwas herüber, diskutiert. Madlen Haarbach kennt das, regelmäßig hat sie Online-Dienst und ist verantwortlich für das, was auf www.tagesspiegel.de passiert. „Die Stille an Heiligabend ist fast gruselig“, erzählt sie, die schon im vergangenen Jahr am 24. Dezember von 15 bis 23 Uhr gearbeitet hat. An diesem Tag sind die meisten Texte vorbereitet, wegen der Feiertage wird keine gedruckte Zeitung produziert und in der Regel passiert: nichts. „Dann gucke ich Märchen und esse Kekse.“ Vielleicht ist noch ein Kollege da, der die Kommentare unter den Artikeln betreut, vielleicht arbeitet der aber auch von zu Hause. Dann wäre Haarbach allein.

Schlimm findet sie das nicht. Ihre Familie kommt am 1. Weihnachtsfeiertag aus Brandenburg nach Berlin, es gibt Kartoffelsalat und Würstchen, einen Spaziergang und schließlich – das ist Tradition bei Haarbachs – geht es zur Lesung von Wladimir Kaminer und zur anschließenden Russendisko in den Roten Salon. Letztes Jahr fand die Veranstaltung erstmals nicht Heiligabend, sondern am 1. Weihnachtstag statt. „Sonst hätte ich den Dienst nicht angenommen.“

Und wenn doch etwas passiert? Dann könnte es für Haarbach sehr stressig werden, bis Verstärkung kommt. Sie sieht es pragmatisch: „Einer muss es ja machen.“ Und die anderen danken es ihr. (apo)

Madlen Haarbach, Tagesspiegel-Redakteurin.

© Kai-Uwe Heinrich

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