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Im Mai 2015 war der Lehrer Filip Gravers Nielsen mit seinen Schülern in Berlin. Nun kehrt er zurück – mit dem dänischen Fernsehen.

© Nico Schmidt

Dreharbeiten in Berlin: Däne sucht Frau

Vor anderthalb Jahren traf Filip Gravers Nielsen eine Frau in der U1. Der Däne kann sie nicht vergessen. Jetzt ist er zurück – auf der Suche nach einem Traum.

Als Filip Gravers Nielsen wieder dort sitzt, wo alles begann, kniet eine Kamerafrau vor ihm. Er schaut durch die schiefen Brandenburger Tore auf dem U-Bahn-Fenster, drückt seinen Rücken in den Sitz der U1. Im vergangenen Mai ruckelte die Bahn durch Kreuzberg und der Däne mit ihr – neben ihm eine Frau. Er erinnert sich daran wie an seinen Hochzeitstag. Sie heirateten nicht, und deshalb sitzt er wieder hier.

Jahr für Jahr fährt Nielsen mit seinen Schülern aus Bornholm auf Klassenfahrt – im Mai 2015 nach Berlin. Der Lehrer und 16 Schüler in Kreuzberg. Vom Schlesischen Tor wollen sie nach Westen. Der Lehrer sitzt auf der einen, die Schüler auf der anderen Seite. Kinder toben im Gang. Dann steigt jene Frau ein, die Nielsen nicht vergessen kann. Dunkle Haare. Sie spricht zu den Kindern. Nielsen, der mehr als etwas Deutsch kann, fragt: „Sind Sie Lehrerin?“ Nein. Theologin.

Sie reden eine Minute. Das Gespräch endet. An der Prinzenstraße steht sie auf, steigt aus. Was Nielsen nicht fragt: Wie heißen Sie? Wie ist Ihre Nummer? Die Türen sind noch offen, da bereut er.

Wieder in Rønne, 13.639 Einwohner, die größte Stadt auf der Insel Bornholm. Wie sucht Nielsen eine Frau, von der er nur weiß, dass sie Theologin ist und dunkle Haare hat? Gar nicht. Das Problem: Er vergisst sie nicht. Von Zeit zu Zeit denkt er an sie. Er schiebt die Gedanken dann weg, wie der Wind die Segelboote draußen vor der Insel.

„Ich war nervös. Dachte, soll ich es machen oder nicht?“

Anfang September schaltet Nielsen den Fernseher ein. Er sieht Werbung für die Sendung „Efterlyst Kærlighed“ („Fahndung Liebe“). Statt auf die Fernbedienung zu drücken, greift er einen Stift. Er notiert die E-Mailadresse einer Produktionsfirma. Eine Freundin sagt ihm: „Vielleicht ist es gut für dich, vielleicht brauchst du diesen therapeutischen Moment.“ Dann schickt er die Geschichte von der Frau und sich ab. Die Firma entscheidet: Wir drehen.

Von seiner Frau ist Nielsen geschieden. Jede zweite Woche verbringen seine Kinder in seinem Apartment. Als vergangene Woche die Kamerafrau kam, fragte er sie, wollt ihr euch filmen lassen? Nein. Stattdessen sitzen am Abend drei ehemalige Schüler mit Nielsen im Esszimmer. Sie reden über die U-Bahnfahrt.

Eine Schülerin zeigt ein Foto. Darauf ist zu sehen, wie Nielsen in der Bahn sitzt. Kurzarmkarohemd, beide Hände um einen Rucksack gelegt. Den Kopf neigt er leicht zu der Frau neben ihm. Kurze Haare, violetter Schal, braune Ledertasche. Nielsen weiß, das ist sie.

Später wird er sagen: „Ich war nervös. Dachte, soll ich es machen oder nicht?“ Er machte es. Am Mittwoch steigt er in ein Flugzeug, das ihn, die Kamerafrau und eine Produktionsassistentin nach Berlin bringt.

Die U1 ruckelt. Dort, wo die Frau einstieg, steigt Nielsen aus. Er läuft die Treppen hinab, vorbei an den Kiosken, vorbei an den Obdachlosen. Er sieht die Emmauskirche. Seine Theorie: Hier arbeitet sie.

Nielsen durchsucht das Internet nach Pfarrerinnen

Ein paar Meter von der Kirche entfernt setzt sich Nielsen auf die Bierzeltgarnitur eines Spätkaufs. Er schiebt das Glas, in dem der Kaffee abkühlt, über den Tisch. Ihm gegenüber sitzt ein dänischer Theologiestudent. Für ein Semester hat sich Adam Garff in Berlin eingeschrieben, jetzt fragt er Nielsen, wie machen wir das? Ohne Kamera.

Die Kamerafrau steht hinter den Bäumen am Lausitzer Platz, als Nielsen und Garff an den Türen der Emmauskirche ruckeln. Ein Mann kommt. Nielsen zieht das Smartphone aus seiner Tasche. Er spreizt zwei Finger, vergrößert auf dem Bildschirm das Gesicht der Frau.

Der Mann schiebt die Tür weit auf, lehnt sich hinaus. „Nein. Noch nie gesehen“, sagt er. Warum Nielsen nicht im Internet suche auf den Seiten der EKD? Dort gebe es Fotos vieler Pfarrerinnen. Nielsen nickt.

Vor einem indischen Restaurant klappt Garff sein Laptop auf, Nielsen sitzt neben ihm. Vor ihnen stehen zwei Apfelkuchen, noch ein Kaffee. Sie suchen und suchen. Finden dann ein Foto einer Pastorin nahe Bernau, die der Frau ähnelt.

Später wird ein Mitarbeiter der Evangelischen Kirche Berlin Nielsen filmen. Der erzählt, wie er die Frau in der Bahn traf. „Und dann suchen wir ein Happy End für Filip“, sagt der Mitarbeiter leicht euphorisiert, während das Smartphone in seiner Hand wackelt. Er wird das Video bei Facebook hochladen. Eine Frau kommentiert: „Dir ganz viel Glück!“

"Und wenn sie eine Nonne ist?"

Vor dem Restaurant schließt Nielsen die Augen, atmet ein. Zweifeln Sie? Ja. „Mache ich das Richtige?“ Wenn er sie nicht findet? „Ich weiß nicht, ob ich dann weitersuche oder sage, es war eine Idee, ein dummer Traum, dem ich gefolgt bin.“

Sie beschließen, doch weiter in Kreuzberg zu suchen. Garff schlägt vor, zur Taborkirche zu gehen. Der nasse Asphalt schluckt die Schritte von Nielsens Schuhen. Die Kamerafrau beendet die Aufnahme, schwingt ihre Arme vor und zurück. Nielsen läuft so weit vor ihr, dass er nicht getroffen wird. An einem Balkon über ihnen hängt ein Banner: „Spreeufer für alle“. Unter dem Spruch ist ein schwarzes Schiff gemalt. Es sinkt.

Am Ende der Wrangelstraße atmet Nielsen aus. Der Regen trommelt auf die Kapuze seiner Outdoorjacke. Garff und er klettern die Stufen zur Taborkirche hinauf. Drinnen treffen sie eine Sozialarbeiterin. Wieder zieht Nielsen das Smartphone aus der Tasche, wieder: Nein, noch nie gesehen.

Wieder draußen, sehen Nielsens müde Augen Plakate, die für das Musical „Sister Act“ werben. Garff sagt: „Und wenn sie eine Nonne ist?“ Nielsen verzieht sein Gesicht zu so etwas wie einem Lächeln. Sie schütteln die Hände. Garff muss zu einer Vorlesung.

Am Ende der Oppelner Straße setzt er sich auf eine Holzbank, 300 Kilometer entfernt von Bornholm. Am Ende der Straße rattert die U1. Wieder kniet die Kamerafrau vor ihm, wieder filmt sie. Noch zwei Tage will er in Kreuzberg von Kirche zu Kirche ziehen, weitersuchen. Im Januar wird das dänische Fernsehen Nielsens Suche ausstrahlen – egal, ob er die Frau findet oder nicht. „Ich gebe viel preis, vielleicht werde ich es dann bereuen.“

Aufgeben will Nielsen noch nicht, sagt er und fährt mit der Hand durch den Bart, der länger ist als seine Haare. Gleich fahre er zum Hotel. „Ich muss wie Sherlock eine große Pfeife rauchen“, sagt er. „Nur dass ich nicht rauche.“

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