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Berlin: Dübeln für die Kunst

Ein Berliner Maler schraubt seine Ölgemälde heimlich an Hausfassaden – kaputt macht er dabei nichts

Tempo und gründliche Vorbereitung sind für Niko am wichtigsten. Schließlich will er bei seinem halb legalen Tun nicht erwischt werden. Er wirft noch einen schnellen Blick nach links, einen nach rechts und nur fünf Minuten später hat der junge Mann ein buntes Ölbild an eine eben noch graue Hauswand in Prenzlauer Berg gedübelt. Sekunden danach ist die mitgebrachte Leiter wieder zusammengeklappt, der Akkuschrauber mit zwei geübten Griffen verstaut und Niko um die nächste Straßenecke verschwunden. Die nächste Fassade wartet. Noch zwei Bilder möchte er an diesem frühen Sonntagmorgen loswerden.

Knapp 50 Frauenakte in Öl hat der 30-jährige Streetartkünstler, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, so seit Sommer 2004 in Nacht- und Nebelaktionen an Berliner Häuserwände gebracht. Die meisten davon hängen in Prenzlauer Berg und Mitte. „Weil das Innenstadtbezirke sind, in denen viele Menschen unterwegs sind“, erklärt er. Außerdem sei die Halbwertszeit der Bilder dort höher. Das ist wichtig, denn über kurz oder lang verschwindet etwa jedes zweite der angebrachten Werke. Wohin, kann der Künstler nur vermuten. „Wenn ein Bild sechs Wochen hängt, bin ich schon zufrieden. Das ist dreimal so lange, wie ich für die Herstellung brauche“, grinst er.

Die Erklärung, die er für sein sonderbares Treiben findet, ist einfach: „Wir verbringen unser Leben doch nicht nur in unseren Wohnungen, sondern auch auf den Straßen“, sagt er, nachdem er sein letztes Bild für heute platziert hat. „Warum also sollten wir diesen Raum nicht auch gestalten dürfen?“ Weil das Sachbeschädigung ist, hat die Polizei ihm einmal zur Antwort gegeben, als sie ihn bei einem Einsatz überraschte. Für seine Argumente zeigten die Beamten wenig Verständnis. Die Anzeige wurde später trotzdem fallengelassen. Die Hausverwaltung hatte gegen das Bild, als sie davon erfuhr, gar nichts einzuwenden. „Warum auch?“, fragt Niko. „Ich arbeite schließlich nur an Häusern, in denen bereits Bohrlöcher sind. Ich suche bewusst Stellen, an denen früher mal Schilder oder Lampen hingen. Ich messe dann die Abstände aus und schraube später nur noch die Bilder fest.“ Kaputt geht dabei nichts. Und anders als Graffiti können die Bilder später wieder rückstandslos entfernt werden. Dass er bei der momentanen Gesetzeslage trotzdem anonym bleiben muss, macht ihm nichts aus. Reich und berühmt werden, möchte er mit seiner Malerei gar nicht. Gelegentliche Angebote von Galerien hat er deshalb in der Vergangenheit auch fast immer ausgeschlagen. Der etablierte Kunstbetrieb interessiere ihn nicht, sagt er: „Ich will nicht, dass Kunst in irgendwelchen kleinen Galerien versteckt wird, wo nur ein elitärer Zirkel etwas davon mitbekommt. Kunst soll für alle sichtbar sein“. Auch für die Leute, die gar nicht in Museen gehen. Einen „demokratischen Ansatz“ nennt er das.

Warum er ausschließlich Frauenakte malt, erklärt er mit der Signalwirkung des Motivs. Außerdem möchte er seine Bilder als Kommentar auf die Allgegenwart nackter Körper auf Reklamepostern verstanden wissen: „Da fragt doch auch niemand, ob man damit konfrontiert werden möchte.“ Dass solche Gedanken nicht jeder versteht, und ihm deshalb auch schon mal „Scheiß Sexismus!“ auf die Bilder geschrieben wurde, nimmt er in Kauf. Es freut ihn sogar. „Mir geht es doch um Kommunikation“, erklärt er. „Wenn jemand die Bilder nicht gefallen, ist das völlig in Ordnung. Das ist Geschmack. Wichtiger sind mir die Fragen, die sich an die ungefragte Ausstellung der Bilder im öffentlichen Raum anschließen: Wem gehört die Straße? Wem gehört die Kunst?“ Dass die Bilder im Zuge einer solchen Auseinandersetzung zerstört oder übermalt werden können, gehört für ihn zum Spiel.

Einen Gedanken aber, den Graffitisprüher gelegentlich als Motiv für ihre illegalen Taten nennen, weist er weit von sich. „Mir geht es nicht um den Nervenkitzel“, betont er. „Wenn ich darauf aus wäre, dann könnte ich auch nachts Scheiben einschmeißen oder klauen gehen.“ Dann doch lieber malen.

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