zum Hauptinhalt

Berlin: Edeltraud Gensow, geb. 1951

Als Edeltraud Gensow anfing zu arbeiten, kümmerte sich die Post noch um die Telefone. Es gab keine Call Center, dafür Fernmeldeämter, die Anrufer waren Teilnehmer und noch keine Kunden, in den Ämtern arbeiteten statt Operators Fräulein vom Amt.

Von David Ensikat

Als Edeltraud Gensow anfing zu arbeiten, kümmerte sich die Post noch um die Telefone. Es gab keine Call Center, dafür Fernmeldeämter, die Anrufer waren Teilnehmer und noch keine Kunden, in den Ämtern arbeiteten statt Operators Fräulein vom Amt. Und die sagten nicht zur Begrüßung: "Deutsche Telekom. Mein Name ist soundso. Was kann ich für Sie tun?", sondern: "Fernamt, Platz 15". Ihren Namen zu sagen, war den Fräuleins streng verboten. Edeltraud Gensow war mal ein solches Fräulein. Zuerst arbeitete sie bei der Auskunft - jede, die zum "Amt" wollte, fing da an. Unter der 118 erreichte man sie und ließ sie auf riesigen Microfiche-Folien die Telefonnummern heraussuchen. Die nächste Station war die Inlandsvermittlung, Einwahl 010. Da saß sie mit den zwei Strippen und der Wählscheibe und verband die West-Berliner mit den Westdeutschen. Und sie amüsierte sich, wenn einer nach "Stettin" telefonieren wollte und sich an sie, die Inlandsvermittlerin wandte: "Was, das ist nicht Deutschland?" Nach kurzer Zeit, endlich, kam sie zum Auslandsfernamt, 0010, - und telefonierte tagein, tagaus mit New York, Paris, Rom, Belgrad und Tokio. Französisch, Englisch und Spanisch konnte sie ohnehin, die paar Brocken Italienisch und Serbokroatisch, die fräulein sonst so brauchte, lernte sie schnell dazu. Wenn sie jemanden mit Japan verband, rief sie "Mochi, mochi" ins Mikrofon, "Hallo, hallo". Am liebsten waren Edeltraud Gensow die Spätdienste. Da ging sie um Mitternacht nach Hause, und machte eineinhalb Stunden später Frühstück. Ihr Mann damals war Bäcker.Da Edeltraud Gensow Abitur und einen Sinn fürs Betriebliche hatte, entschied sie sich für die "mittlere Beamtenlaufbahn" und die Gewerkschaftsarbeit. Seit Ende der Achtziger machte sie die Dienstpläne und passte auf, dass ihre Kolleginnen außer Fräulein auch noch Mutter sein konnten.

Eine wie sie, eine, die den Job kannte und auch die Leute, die da arbeiteten, wurde fortan bei den Amtsorganisatoren dringend gebraucht: 1989 waren sie nicht mehr Post, sondern Telekom, dann kam die Vereinigung mit dem Osten, 1995 die Privatisierung - immer wieder Umstrukturierungen, neue Technik, Sparpläne, immer wieder die Frage: Wer arbeitet nun wo?

Edeltraud Gensow war als Personalrätin dabei, wenn es darum ging, wer in den Vorruhestand kommt, wer in die Altersteilzeit, und sie brachte den Mitarbeitern bei, was ein front office ist, was ein back office, welche Niederlassung sich künftig um was kümmert, und warum es gut ist, dass man Call Center outsourct. Die neue Sprache belächelte sie - und sprach sie.

Seit acht Jahren hatte sie Krebs - das ging aber niemanden was an. Sie arbeitete bis Ende Oktober, dann ging es nicht mehr. Dass zu ihrer Beerdigung die Kollegen erscheinen - das wäre ihr nicht recht. Die Leute sollen arbeiten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false