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Berlin: Ein beinahe verlorener Ort

Mitten im Wohngebiet in Niederschöneweide stehen die Baracken, die 1943 von den Nazis gebaut wurden. In dem früheren Zwangsarbeiterlager soll jetzt ein Dokumentations- und Begegnungszentrum entstehen

Wenn heute der Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses über ein Dokumentations und Begegnungszentrum zur NS- Zwangsarbeit diskutiert, dann geht es auch um einen beinahe verlorenen Ort. Vor zehn Jahren „entdeckten“ Stadtplaner Berlins die fast vollständig erhaltenen Baracken eines Zwangsarbeiterlager. Wer das 3,3 Hektar große Gelände zwischen Britzer, Köllnischer und Rudower Straße in Niederschöneweide besucht, fragt sich, wie es überhaupt vergessen werden konnte. Zwölf von dreizehn Baracken, unverkennbare Relikte der NS-Zeit, stehen noch inmitten fünfgeschossiger Wohnhäuser. Umrahmt werden sie – damals wie heute – von einer evangelischen Kirche und einem Gymnasium.1943 wurde das Lager errichtet. Ein Jahr später waren dort rund 500 Zwangsarbeiter untergebracht, die in Rüstungsbetrieben und auf Baustellen arbeiten mussten.

1995 wurden die Baracken unter Denkmalschutz gestellt. Seither sucht man vergeblich nach einem adäquaten Konzept. Ein Teil der Baracken wird seit DDR-Zeiten genutzt: von Autowerkstätten, einer Kindertagesstätte, der Kegelkneipe „Völkerfreundschaft“. Nun zeichnet sich zumindest für die sechs leer stehenden Baracken, für die die Oberfinanzdirektion Berlin seit Herbst 2003 Käufer sucht, eine Lösung ab. Am 24. Mai gründete sich unter der Schirmherrschaft Walter Mompers ein Förderverein, ein paar Tage später besichtigte Kultursenator Thomas Flierl mit dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses das Lager. Geplant ist ein zentraler Anlauf- und Informationspunkt zur Zwangsarbeit in Berlin und Brandenburg.

Nach Jahren, in denen sich die Berliner Erinnerungspolitik auf Großprojekte wie das Jüdische Museum oder das Denkmal für die ermordeten Juden Europas konzentrierte, rücken wieder authentische Orte ins Blickfeld – nicht erst seit dem Debakel um die Topographie des Terrors. Doch für das Erinnern der Zwangsarbeit tickt die Uhr. Die Opfer sterben. Und wenn im nächsten Mai die Berliner Koordinierungsstelle zur Zwangsarbeiterentschädigung nach Auszahlung aller beantragten Entschädigungen geschlossen wird, befürchten Aktivisten wie der Berliner Historiker Cord Pagenstecher, dass wichtige Informationen im Archiv abgelegt und dort vergessen werden könnten. Pagenstecher sammelte als Rechercheur Anträge ehemaliger Zwangsarbeiter – und viele persönliche Kontakte und Erinnerungen.

Seit Sommer 2002 hält die Berliner Geschichtswerkstatt zusammen mit dem Bund der Antifaschisten Berlin-Treptow und dem Verein Kulturlandschaft Dahme-Spreewald dagegen. Auf dem Lagergelände veranstaltet man Führungen und Ausstellungen, lädt Zeitzeugen ein, organisiert Theater- und Fotoprojekte mit Jugendlichen, die so sinnlich erfahren, was es hieß, als Jugendlicher oder junger Erwachsener nach Deutschland verschleppt worden zu sein.

Flierl rechnet damit, dass das Land Berlin das Grundstück noch in diesem Herbst für 108000 Euro erwerben kann. Heute stellt der Senator sein Konzept im Kulturausschuss vor. Zunächst war daran gedacht, vier der sechs Baracken für Künstlerateliers oder ein Jugendgästehaus zu nutzen, um einen Teil der Betriebskosten abzudecken. Was auf Widerspruch bei der bislang federführenden Bauverwaltung stieß. In einem Vorkonzept schlägt die Kulturbehörde vor, drei der Baracken eingeschränkt zu nutzen und lediglich in ihrem baulichen Bestand zu sichern. Für die geschätzten jährlichen Betriebskosten des Dokumentationszentrums von 339000 Euro wünscht man sich die Beteiligung des Bundes – etwa über die Stiftung Topographie des Terrors, deren Vorsitzender Andreas Nachama dem Förderverein Unterstützung bei der Geschäftsführung zugesichert hat.

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