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Rouzbeh Taheri prägte die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen in der Öffentlichkeit. Aktuell leitet er die Geschäfte des Verlags „Neues Deutschland“.

© Nassim Rad / Tagesspiegel

Update

Ein Jahr nach Berlins Enteignungs-Volksentscheid: „Ich glaube nicht, dass er umgesetzt wird“

Rouzbeh Taheri war lange das Gesicht von „Deutsche Wohnen und Co enteignen“. Ein Interview über Täuschungen, Fehler und einen neuen Anlauf.

Herr Taheri, vor einem Jahr stimmten 59,1 Prozent der Berliner für die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Passiert ist seitdem so gut wie nichts. Wie groß ist Ihr Frust?
Ich bin enttäuscht, aber nicht verbittert. Auf der einen Seite haben wir erreicht, dass der Begriff Vergesellschaftung jenseits der konkreten Kampagne in der politischen Debatte und sogar in der Praxis – siehe Uniper – angekommen ist. Daran hätten wir selbst nicht geglaubt, auch wenn es nicht allein unser Verdienst ist. Auf der anderen Seite haben wir uns mit der Beteiligung an der sogenannten Expertenkommission auf eine Spielwiese begeben, auf der wir überhaupt nicht über die Regeln bestimmen können. Dem konkreten Ziel sind wir nicht wirklich näher gekommen.

Statt direkt wie vom Volksentscheid gefordert – in die Erarbeitung eines Enteignungsgesetzes einzusteigen, setzt der Senat auf eine Expertenkommission. Hat sich die Initiative über den Tisch ziehen lassen?
Ich hätte damals nicht gedacht, dass auf diese Weise die Ergebnisse des Volksbegehrens auf die lange Bank geschoben werden und ich bin mit der Art der Arbeit der Kommission nicht einverstanden. Fakt ist: Wir haben uns die Spielregeln aufdrücken lassen, statt sie selbst vorzugeben. Weder unsere Forderung zur Öffentlichkeit noch zur Parität im Abstimmungsverhalten wurden umgesetzt, dennoch sitzen Vertreter der Initiative in der Kommission. Das ist eine Art babylonische Gefangenschaft, weil uns diese Institution dazu bringt, uns in vielen Fragen zurückzuhalten und passiv zu werden.

Heißt, die Initiative sollte die drei von ihr in die Kommission entsandten Experten zurückziehen?
Wenn man irgendwo reingeht, muss man auch die Kraft haben, notfalls rauszugehen. Die Frage ist, wann dies sinnvoll ist. Unsere Grundsätze der Öffentlichkeit und der Gleichberechtigung wurden in einer Art Salamitaktik ausgehöhlt und wir können unseren mehr als eine Millionen Wählerinnen und Wählern nicht sagen, was in dieser Kommission passiert. Das ist schlecht.  Unsere Vertreter in der Kommission sind übrigens fachlich sehr kompetent, sie können aber nur in einem vorgegebenen Rahmen agieren.

Sie haben vor „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ bereits vier andere Volksbegehren mitgestaltet. Fühlen Sie sich auch persönlich getäuscht?
Die Täuschung ist im System angelegt und ich habe sie bereits in anderen Zusammenhängen erlebt. Ich bin aber dennoch hoffnungsvoll, dass die Kommission zu einem guten Ergebnis für uns kommen wird.

Und dann?
Ich habe keinerlei Hoffnung, dass dieses Ergebnis umgesetzt wird. Sobald auch nur ein Kommissionsmitglied Zweifel daran äußert, dass es einen rechtskonformen Weg zur Enteignung gibt, wird die SPD sagen: Das können wir nicht umsetzen, das ist uns zu unsicher.

Im Zentrum der Kritik: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).
Im Zentrum der Kritik: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).

© REUTERS / Foto: Reuters/Fabrizio Bensch

Also ist die SPD das Problem? Immerhin hat ein Parteitag zuletzt den Weg für ein Gesetz geebnet, wenn es die Kommission für möglich erachtet…
Ich glaube nicht, dass der Volksentscheid unter Frau Giffey umgesetzt wird. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob es um Enteignungen oder ein anderes progressives Anliegen geht. Frau Giffey ist eine konservative Politikerin, ihr politischer Stil grenzt an Hochstapelei. Das zeigen die angekündigten, aber völlig illusorischen Neubauzahlen genau wie ihr Wohnungsbündnis, das gelinde gesagt ein schlechter Witz ist. Die Leute merken das.

Aber machen Sie es sich nicht zu leicht, wenn Sie allein die SPD eine politische Verhinderungstaktik vorwerfen? Immerhin gibt es ja durchaus ernstzunehmende verfassungsrechtliche Zweifel an der Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit, Wohnungsbestände einiger Konzerne ab einer bestimmten Größe zu enteignen.

Sicher gibt es eine Menge Fragen, die zu klären sind. Wenn es aber tatsächlich um die Klärung der Zweifel ginge, bräuchte es keine Geheimhaltungsstrategie bei der Arbeit der Kommission. Hier entsteht der Eindruck, dass Teile der Politik nicht Probleme lösen, sondern Probleme erfinden wollen.

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Haben auch Sie, hat die Initiative Fehler gemacht? Welche?
Eindeutig ja. Wir hätten viel früher einen Plan für die Zeit nach der Wahl erarbeiten müssen. Unsere Gegner haben schon Wochen vor dem Volksentscheid die Abstimmung verloren gegeben und sich auf die bürokratische Sabotage des absehbar positiven Ergebnisses eingestellt. Wir hatten leider nicht genug Ressourcen, um einen Wahlkampf zu führen und gleichzeitig die Zeit nach der Wahl strategisch vorzubereiten.

Was, wenn der Senat am Ende kein Enteignungsgesetz erarbeitet?
Wenn am Ende des Prozesses der Volksentscheid nicht umgesetzt wird, müssen wir das erneut mittels direkter Demokratie heilen. Zunächst ist es aber die verdammte Pflicht der Regierung, dieses Volksbegehren umzusetzen. Wenn sie das nicht tut, kann es Zeit sein für ein neues Volksbegehren. Die Initiative ist stark genug dazu, auch wenn das Vertrauen in die Demokratie einmal mehr Schaden nehmen würde.

Das Gespräch führte Robert Kiesel.

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