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Berlin: Ein Kessel Stars

Als der alte Friedrichstadtpalast abgerissen werden musste, kamen sogar den Ballett-Tänzerinnen die Tränen. Die SED-Führung gab sich spendabel und ließ einen neuen bauen. Europas größtes Revuetheater ist auch noch nach 20 Jahren eine Erfolgsgeschichte

Die Revue ist nicht tot zu kriegen. Sie lebt. Abend für Abend rollen die Reisebusse vor den Friedrichstadtpalast: Dieser braune Betonklotz mit dem weit bekannten Namen weckt beim verehrten Publikum die Hoffnung, für ein paar Stunden verzaubert und der Alltagswelt entrückt zu werden. Glamour und Glanz livehaftig auf einer riesigen Bühne vor fast 2000 Zuschauern – wo gibt es das denn sonst noch? Paris? Las Vegas? Die Künstler und Techniker in Europas größtem Revuetheater tun alles, um uns die Reisen zu den großen Shows in fernere Gefilde zu ersparen. Sieh, das Gute liegt so nah – in der Friedrichstraße 107. Dort begann vor 20 Jahren Berlins neuer Unterhaltungspalast mit seiner schillernden Karriere.

Das Bauvorhaben auf dem Gelände, wo einst der Zirkus „Barlay“ stand, hatte einen ziemlich betrüblichen Grund: Der alte Friedrichstadtpalast mit der Adresse Am Zirkus 1 zwischen dem Berliner Ensemble und der Reinhardtstraße zeigte nach 35 Jahren Risse und Verfallserscheinungen. Die Pfähle, auf denen er stand, waren morsch geworden. Oder hatte der rasende Applaus der 3000 für Ella Fitzgerald und „Satchmo“, für die großen eigenen Ausstattungsrevuen, für Shirley Bassey, Caterina Valente, Juliette Greco, Yves Montand, Mr. Acker Bilk oder Udo Jürgens die Fundamente ins Wanken gebracht? Jedenfalls wird wohl niemand, der die Abschiedsvorstellung am 29. Februar 1980 miterlebt hat, vergessen, wie beim Finale des Finales plötzlich das Lächeln der Ballerinen versteinerte und im ungehemmten Tränenstrom das Make-up zerfloss. Lebe wohl, du altes Haus! Es wurde fünf Jahre später abgerissen. Aber das Ensemble blieb, es hielt sich mit Gastspielen auf Berliner Bühnen und im Ausland fit.

Schon Monate später beschlossen das Politbüro der SED und der Magistrat, einen neuen Unterhaltungstempel bauen zu lassen. Geld spielte für solcherlei Dinge keine Rolle (der Schätzpreis liegt bei über 230 Millionen DDR-Mark), Honecker hatte ein Faible fürs Leichtgeschürzte, und es gab ohnehin den Plan, die Friedrichstraße durch Neubauten – wie die architektonisch ähnlichen „Friedrichstadtpassagen“ – aufzuwerten. Der Begriff „Sonderbauvorhaben“ sagt eigentlich alles: Die besten Leute mit den pfiffigsten Ideen waren gefragt, „wenn schon, dann richtig – mit Weltniveau“, sagte Architekt Manfred Prasser, und drei Jahre nach der Grundsteinlegung, am 27. April 1984, wird das neue Amphitheater der Unterhaltung mit seinen 1895 Plätzen eingeweiht.

Es ist ein berauschendes Fest mit internationalen Stars. Das Haus schont Prospekte nicht und nicht Maschinen, es zeigt alles, was es zu bieten hat – damals ziemlich neue Laserkanonen, ein Wasserbassin, in dem die Nixen baden, und eine Eisfläche, die ebenso im Nu aus dem Keller auf die Bühne fährt. Stars sind natürlich wieder die Mädels „von’t Ballett“, dieser tragenden Säule des ganzen Revuetheaters, in dem damals wie heute mancher in dem schmissigen preußischen Gleichtakt von 64 Beinen der rassigen bühnenbreiten Girlreihe den Höhepunkt der ganzen Show sieht. Die andere Seite des schönen Scheins: Am Tag der Premiere wurde es den Ost-Berliner Zeitungsredaktionen verboten, die Fotos der letzten Proben zu veröffentlichen – da war eine Balletttänzerin zu sehen, die inzwischen in den Westen getürmt war. Und der Part des beliebten Conferenciers O. F. Weidling wurde in der TV-Wiederholung des Eröffnungs-Staatsakts am nächsten Vormittag komplett herausoperiert, weil es der Mann gewagt hatte, ein paar harmlose Witzchen über die leidige Versorgungslage zu machen. Erich Honecker, der – wie später nach der Wende Helmut Kohl oder Michail Gorbatschow – auf dem Prominenten-Parkettplatz 25 in Reihe 3, A-links, saß, amüsierte sich zwar königlich, aber sein mächtiger Wirtschaftslenker Günter Mittag konnte die kleine Stichelei nicht ertragen. Er zeigte seine Macht: Der Ansager, schon von Krankheit gezeichnet, wurde geächtet, trat kaum noch auf, und ein Gerücht besagte, er sitze in Bautzen. Acht Monate nach dem Eklat las man dann eine kleine Meldung über Weidlings Tod.

Vergangene Woche gab es ein kleines nostalgisches Rendezvous all jener Leute vom Bau, die dafür verantwortlich waren, dass der Palast-Dampfer vor 20 Jahren erfolgreich vom Stapel lief und nicht nur Revues, sondern auch beliebte DDR-Fernsehshows wie „Ein Kessel Buntes“ beherbergen konnte. „Wir sind ein bisschen stolz auf unsere Arbeit und darüber, dass alles noch immer gut funktioniert, ja, dass es den Palast überhaupt noch gibt“, sagt Henry Zabel, der quasi mit dem Aushub der Baugrube als Toningenieur zur Friedrichstraße 107 kam und heute als Technischer Direktor mit seinen 60 Mannen allabendlich dafür sorgt, dass die Künste der Artisten und die Ideen der Ausstattungs-, Kostüm- und Ballettkünstler ins rechte Licht gesetzt werden. Der „Dienstleister der Kunst“ kennt jeden Kabelkanal und jede Katastrophe – es ist (fast) immer alles noch mal gut gegangen. So, als der Eiserne Vorhang nach einem Test kurz vor Beginn der Vorstellung einfach nicht mehr hoch gehen wollte. Oder als sich plötzlich der Löwe eines österreichischen Dompteurs einsam auf der Bühne befand – sehr verwundert und außerhalb seines Käfigs. Oder als der Keller unter Wasser stand, weil das 180 Zentimeter hohe und elf Meter breite Schwimmbassin ausgelaufen war – 180 000 Liter. Oder auch, als nichts mehr ging, keine Züge, keine Töne, kein Licht. Black out. Nachts haben sie die kleine Störung im Computer endlich gefunden – es war die einzige Vorstellung in 20 Jahren, die es nicht gab.

Am Dienstag ist Jubiläums-Gala: die Girls lächeln, die Wimpern klimpern, Tänzer spannen ihre Muskeln, Körper fliegen unter der Zirkuskuppel, Musik lässt Wassernixen tanzen. Alles wie immer: harte Arbeit, schöner Schein. Gute Unterhaltung. Und: Glückwunsch, Revuepalast!

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