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Musikerin Dota Kehr

© Promo

Eine Begegnung mit Musikerin Dota Kehr: Hier klingt ein anderes Berlin

Mit intelligenter und schöner Musik erfreut Dota Kehr seit Jahren eine feste Fangemeinde – jetzt hat sie auch kommerziellen Erfolg. Eine Begegnung.

Ach, Berlin! Kannst einem schon mal auf die Nerven gehen. Mit aggressiven Partyprolls auf der Warschauer Brücke, schlechter Politik im Senat, der unendlichen Geschichte um einen nie fertig werdenden Flughafen, und überhaupt: „Wenn ich ein paar Wochen am Stück in Berlin bin, dann werde ich irgendwann unruhig, dann muss ich raus“, sagt Dota Kehr. Trennungsschmerz? Verspürt sie schon deswegen nicht, „weil ich ja jedes Mal weiß, dass ich wieder zurückkomme“. Wahrscheinlich wird das Leben in Berlin erst dadurch richtig schön, dass man immer mal wieder rauskommt.

Könnte was dran sein, sagt die Musikerin Dota Kehr. Eigentlich heißt sie ja Dorothea, aber das ist ein zu vernachlässigendes Detail für die Liebhaber von Geburtsurkunden. Für das Gespräch schlägt sie ein Café am Spreewaldplatz vor, mitten in ihrem Kreuzberger Kiez, wo sie schon zu Hause war, bevor die Gentrifizierung erfunden wurde. Dota Kehr ist in Berlin geboren und groß geworden, sie hat zwischendurch in Brasilien und Chile gelebt und denkt schon manchmal darüber nach, wie es denn auf Dauer woanders wäre. Im Schwarzwald mit seinen Wanderwegen. In Hamburg, wo viele Freunde wohnen. Oder in Heidelberg, da steigt sie ganz gern vom Neckar hinauf zum Schloss. Hätte schon Charme, aber…

... dann war sie neulich auf dem Fernsehturm, „mit Freunden, allein wäre ich nie auf die Idee gekommen“. Frühe Abenddämmerung, unten setzte rund um den Alexanderplatz der Feierabendverkehr ein. „Lauter weiße und rote Lichter, die standen bestimmt alle im Stau und haben sich furchtbar geärgert, aber für mich war es ein wunderschönes, die Fantasie anregendes Bild.“ Und eine ästhetische Bestätigung dafür, dass so ein Leben in Berlin doch nicht so verkehrt ist.

Dota tourt seit zehn Jahren, aber diesmal ist alles anders

In dieser Woche ist Dota mit ihrer gleichnamigen Band zu einer längeren Konzertreise aufgebrochen. Erst von Kassel über einen Fernsehauftritt in Baden-Baden nach Görlitz, wo die Leute zwei Stunden lang vor dem Hof eines überfüllten Jugendklubs standen und durch die geöffneten Fenster lauschten. Auch Bremen war lange vorher ausverkauft und Hamburg fast. Berlin ist erst im Oktober dran und steht nur formal am Ende der Tour, denn eigentlich gibt es kein Ende, nur den Wechsel zu einem neuen Programm. Kunst ist ein fließender Prozess von Veränderungen.

Dota tourt seit zehn Jahren, aber diesmal ist alles ein bisschen anders, denn sie verlässt Berlin mit dem Ruhm des kommerziellen Erfolges im Gitarrenkoffer. Der Verein „Deutschsprachige Musik“ listet ihr neues Album „Gefahr“ in seiner Liederbestenliste des Monats April auf Platz eins. Das ist erstens eine hohe Auszeichnung und kommt zweitens recht überraschend. Zwar hat Dota Kehr seit Jahren eine feste Fangemeinde, aber der großen Öffentlichkeit ist sie noch immer weitgehend unbekannt. Das ändert sich gerade. Angenehm irritiert nimmt sie zur Kenntnis, „dass wir zum ersten Mal in die Charts gekommen sind“ und dann gleich auf Platz 14.

Dota Kehr ist 36 Jahre alt, eine zierliche und zurückhaltende Frau, was geradezu klischeehaft zu ihrer hellen Stimme passt und zum Ton ihrer Musik. In Hamburg, Leipzig oder Köln steht sie als Künstlerin für die dort gar nicht so weit verbreitete Erkenntnis, dass es ein Berlin jenseits von Hamwanich!, Berghain und Komasaufen gibt. Und als Beleg für die These, dass gefälliger Klang auch Inhalt verträgt. Zum Beispiel in „Grenzen“, Dotas Diskussionsbeitrag zum weltweiten Flüchtlingsdrama, er beginnt so:

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Wer ist drinnen, wer ist draußen?

Ich mal eine Linie.

Du darfst nicht vorbei.

Da trifft Luft auf Luft,

da trifft Land auf Land.

Da trifft Haut auf Blei.

Wo ist oben, wo ist unten?

Wer könnte, wer wollte das ändern?

Was geschieht in den Ländern,

an ihren Rändern?

Berlins Perspektive? Sieht sie eher skeptisch

Zwei Jahre hat sie an diesem Projekt gearbeitet – und nicht einmal eine halbe Stunde an „Rennrad“, das im Radio seit Wochen rauf und runter läuft, es trifft mit seinem heiteren Ton perfekt den beginnenden Frühling. „Ist schon komisch“, sagt Dota, „früher waren wir so gut wie nie im Radio zu hören.“

Kindheit und Jugend hat sie in Ruhleben, Zehlendorf und Schöneberg verbracht. Klassisches West-Berlin, manchmal ärgert sie sich schon darüber, „dass ich erst zehn war, als die Mauer fiel“. Der Bruder ist ein paar Jahre älter und hat ihr von der Anarchie und Aufbruchsstimmung der Wendezeit erzählt. Von den Nächten in den überall neu entstehenden Kneipen und Bars und Clubs, „diese Zeit hätte ich schon gern mitgenommen“. Da war mal was, das nie wiederkommt. Ihr Freund ist in Kreuzberg am Mauerstreifen aufgewachsen, nachts leuchteten die Grenzer mit Scheinwerfern sein Fenster aus. Auch von diesem Berlin war nichts in Ruhleben-Zehlendorf-Schöneberg.

Spätere Veränderungen hat sie intensiver erlebt. In den frühen Nullerjahren, als Dota Kehr noch Ärztin werden wollte und an der Charité studierte. In Fußwegnähe der Friedrichstraße, damals geheimnisvolles Terrain, versteckt hinter Bauzäunen. War schon spannend, „aber als die Friedrichstraße dann endlich fertig war, fand ich sie todlangweilig“.

Berlins Perspektive? Sieht sie eher skeptisch. Nicht wegen der ständig steigenden Touristenzahlen: „Sich darüber zu beschweren, ist doch lahm. Schließlich habe ich mir auch schon Städte angeschaut, und Berlin ist natürlich sehenswert.“ Gewiss, das könne schon krasse Ausmaße annehmen. Dota erzählt von einer Reise nach Barcelona, „da hatte ich den Eindruck, dass von manchen Vierteln nur noch die äußere Hülle einer Stadt steht, ohne ein echtes Leben vor Ort, wie ein Gerippe.“ Keine schöne Vorstellung, aber viel dramatischer sei, dass Berlin immer teurer werde. „Da kann man noch so viel Kulturpolitik machen, eine Stadt bleibt nur so lange kreativ, interessant und lebenswert, wie die Wohnungsmieten bezahlbar sind.“ Ein paar befreundete Künstler sind schon nach Leipzig umgezogen.

Könnte sie eigentlich mal ein Lied drüber schreiben.

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