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Eine Henne kann auch Boss werden: Ein neues Kinderbuch krempelt die Geschlechterrollen um

Illustrator Sebastian Meschenmoser hat ein Kinderbuch über Geschlechterrollen geschrieben. Inspiriert wurde er zu der Geschichte, als er und seine Frau eigenhändig Küken in ihrer Wohnung groß zogen. 

Manche sagen ja, Berlin sei auch nur ein großes Dorf. Und so sollte es eigentlich niemanden verwundern, wenn ein Illustrator plötzlich eine Wohngemeinschaft mit Küken gründet oder ein Fuchs mitten in Kreuzberg Hühner reißt. Dass daraus am Ende ein Kinderbuch über Geschlechterrollen und Selbstbestimmung entsteht – damit zeigt Berlin dann doch sein großstädtisches Gesicht.

So hat jener Illustrator, mit Namen Sebastian Meschenmoser, kürzlich das Kinderbuch „Chick“ veröffentlicht. Es geht darin um ein Küken, das davon träumt, eines Tages der Boss-Hahn zu werden. Chick möchte der größte und mächtigste Hahn unter den Hühnern sein. Während die Hennen auf die Eier aufpassen, würde er auf Reisen gehen, große Abenteuer erleben und heldenhaft die anderen Hühner vor Gefahren beschützen. 

Wie es so ist im Leben, kommt dann aber alles anders: Das Küken Chick stellt fest, dass es gar kein Boss-Hahn werden kann, da es eine Henne ist. Henriette dagegen, eines der anderen Küken, entwickelt sich überraschend zu einem Hahn. Chick ist betrübt und glaubt zunächst, dass nun all ihre Träume nie in Erfüllung gehen werden. Doch als ein Fuchs dem Hühnerstall einen Besuch abstattet und die Küken bedroht, rettet Chick den Hahn und die restlichen Hühner. Sie erkennt, dass sie gar kein Hahn sein muss, um Heldentaten zu vollbringen – von da an ist sie das Boss-Huhn.

Tatsächlich handelt es sich dabei um eine „beinahe wahre Geschichte“, die sich vor einiger Zeit in Berlin zutrug, wie der Autor sagt. Meschenmosers Frau ist Naturpädagogin an einer Schule in Kreuzberg, zu der ein Schulgarten inklusive Hühnerstall gehört. Als die Hühner eines Tages von einem Fuchs gerissen wurden, nahmen der Autor und seine Frau eine neue Generation Küken bei sich Zuhause auf. Sie wollten, dass die Hühner sich schon früh an Menschen gewöhnen können und somit später weniger ängstlich auf Kinder reagieren würden.

Sebastian Meschenmoser und eines der Hühner, die er großzog.

© Sebastian Meschenmoser

Sobald sie groß genug waren, zogen die Küken zurück in den Hühnerstall auf dem Schulhof. Sebastian Meschenmoser lernte durch das Zusammenleben viel Neues über Hühner, zum Beispiel, dass Küken gar nicht immer gelb sein müssen und bis zu 50 Mal am Tag ihren Kot hinterlassen. Aber auch, dass es bei Küken im jungen Alter schwierig ist, das Geschlecht eindeutig zu bestimmen, und dass auch Hennen die Führung im Hühnerstall übernehmen können. Das schien auch den Kindern in der Schule nicht klar zu sein: Als dort Namensvorschläge für die Hühner gesammelt wurden, schlug einer der Jungen „Boss-Hahn” für das männliche Huhn vor. Für ihn war klar, dass nur ein Hahn der Anführer sein kann.

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Diese Beobachtungen inspirierten Meschenmoser dazu, die Geschichte zu schreiben. Doch nicht nur der Text, sondern auch die Illustrationen leben von seinen echten Erfahrungen mit den Küken. Die feinen Zeichnungen zeigen, wie Chick und die anderen Küken in dem Wohnzimmer eines Mannes heranwachsen, der dem Autor sehr ähnelt. 

Nur die Traumsequenzen, in denen Chick sich sein Leben als Boss-Hahn vorstellt, heben sich von den restlichen Zeichnungen im Buch ab. Jeder Traum ist illustratorisch an Comic-Reihen angelehnt, zum Beispiel die bekannten Disney-Taschenbücher oder Batman, „Geschichten, in denen stets männliche Figuren die Helden sind und Abenteuer erleben”, erklärt Meschenmoser.

Stereotype Rollenbilder und Klischees werden auch durch Comics und Kinderbücher weitergegeben. Mit genau diesen möchte der Autor von „Chick” brechen. Zuerst gehen Leser:innen davon aus, dass die heldenhafte Hauptfigur männlich ist, doch dann lernen sie gemeinsam mit Chick, dass auch eine Henne die Heldin, das Boss-Huhn sein kann. 

Pia Tietjen

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