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Im Lateinunterricht.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Lateinunterricht: Eine tote Sprache fürs Leben lernen

In der Oberstufe ist Lateinunterricht an den meisten Berliner Schulen verbreitet. Doch gehört die Sprache noch auf Stundenplan? Ein Pro und Kontra

Pro: „Alt ist nicht gleich unzeitgemäß!“, Max Deibert, 21

So ist es in der Pubertät: Eltern scheiße, Lehrer scheiße, Schule scheiße. Da gibt es wenige, die sich dann auch noch über Latein freuen können. Dass Lateinunterricht zum altbackenen Übel unserer modernen Bildungsgesellschaft gehören soll, halte ich für Quatsch. Diese Standard-Argumente von wegen „das ist eine tote Sprache, ich kann nach acht Jahren Unterricht nicht mal ‘ne Pizza auf Latein bestellen“ sind eher ermüdend als lustig. Ja, Latein wird - außer bei den wilden Jungs im Vatikan - nicht mehr gesprochen. Ich habe aber auch noch nie erlebt, dass zwei langhaarige Informatikstunden tuschelnd zusammenhocken und sich in Programmiersprache verständigen. Dennoch haben beide „Sprachen“ eine Gemeinsamkeit: Sie sind Werkzeuge. Es geht nicht um das Erzeugen von Lauten. Wer Latein beherrscht, beherrscht die Basis zum Erlernen anderer indogermanischer Sprachen - und weiß, was es heißt, zu lernen und zu leiden. Das ist wichtig in der schulischen Karriere. Wer sich durch den Lateinunterricht kämpft, weiß aber auch, was ein Adverb, ein Pronomen, eine Hyperbel ist. Dieses Wissen kann dir niemand mehr nehmen. Außer dein Kurzzeitgedächtnis. 

Wer Geschichtsunterricht für seltsam abstrakt hält, hat mit der lateinischen Sprache die Möglichkeit, einen ganz anderen Zugang zu ihr zu gelangen. Wenn ich die originalen Schlachtpläne Caesars aus seinen Tagesbüchern oder politische Debatten Ciceros übersetze, habe ich das Gefühl, mir ein Stück Geschichte selbst erarbeitet zu haben. Keine sterilen Geschichtsbücher, die mich mit Daten und Fakten bewerfen. Verrat, Intrigen, Selbstsucht: Nicht nur Krieg, auch römische Politik spielte eine wichtige Rolle im Latein-Unterricht, den ich durchgehend von der fünften Klasse bis zum Abitur genoss. Latein war immer spannend zu übersetzen. Kein Wunder also, dass diese Geschichten etliche Male verfilmt wurden. Oder man nehme die Briefe des Plinius, in denen er detailliert vom Ausbruch des Vesuv berichtet: das gilt noch heute als wichtige historische Quelle - und ich kann sie übersetzen.

In „Die geheime Geschichte“, einem meiner Lieblingsromane von Donna Tartt, gibt es an einer Uni einen sehr elitären Alt-Griechisch-Kurs. Die Studenten unterhalten sich, wenn sie unter sich sind, auf Latein. Wenn sie wollen, dass überhaupt keiner mehr ein Wort versteht, auf Alt-Griechisch. Es gibt an der Humboldt Universität einen Kurs, der ähnlich funktioniert. Diese Studenten können in ihrer Sprache vielleicht keine Pizza bestellen, aber sie können dich beleidigen, anbaggern, verraten, ohne dass du oder die meisten anderen Menschen es verstehen. Warum soll ein Trend nicht auch mal so intellektuell sein, statt nur äußerlich mit Bärten oder Röhrenjeans? Nur weil etwas alt ist, muss es nicht mit „unzeitgemäß“ übersetzt werden. Für mich steht fest: Latein gehört weiterhin auf den Stundenplan!

Kontra: „Zwei Stunden die Woche reichen!“, Tobias Jeutner, 14

Das Argument, das am häufigsten verwendet wird, ist wohl: „Latein ist die Grundlage für alle romanischen Sprachen. Wenn du Latein kannst, kannst du sie alle.“ Ersteres mag stimmen, zweiteres leider nicht. Das Einzige, was Latein und zum Beispiel Englisch oder Spanisch gemeinsam haben, sind eine Handvoll Wörter, die man sich durchs Lateinlernen vielleicht ableiten kann. Nicht einmal die Grammatik stimmt wirklich überein: Homines saepe credent, quia pii sunt - People pray often, because they are pious - Menschen beten oft, weil sie fromm sind.

Vor allem Mediziner, Ärzte, Theologen und Naturwissenschaftler haben mit Latein zu tun. Aber keineswegs wird jeder Abiturient einen dieser genannten Berufe erlernen. Zumal man mittlerweile im Terminologiekurs ohnehin die nötigen Kenntnisse bekommt, die man beispielsweise als Arzt braucht. Am Ende ist der sprachliche Unterschied zwischen denen, die Latein schon vorher hatten und denen, die es dann erst haben, auch nicht mehr groß. Auch ohne schulisches Latein kann man ohne Einschränkung Doktor werden.

Andere Fächer, vor allem andere Sprachen, sind viel wichtiger. Problemlos könnte man in  der in der Zeit, in der man Latein lernt, etwa Spanisch oder Italienisch erlernen. Will man dennoch Latein büffeln oder ist man der Meinung, man benötige es unbedingt, reichen auch zwei Stunden die Woche, eine AG oder ein Wahlpflichtkurs. Ich hatte dagegen vier Stunden – und damit mehr als Englisch oder Französisch. Noch dazu ist der Stundenplan ohnehin schon viel zu dicht. Dafür, dass Latein heute einfach nicht mehr den Stellenwert eines Hauptfaches genießt, ist die Sprache an den Schulen noch viel zu verbreitet.

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Tobias Jeutner, Max Deibert

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