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Berlin: Einladung zum Seitensprung

Bücherei-Azubis verführen Leser zum Blind Date mit unbekannter Literatur.

Es funktioniert ein bisschen wie eine Kuppelshow. Der Besucher wählt ein Date aus einer Reihe an Kandidaten aus. Sie sind verhüllt und dürfen sich nur mit wenigen Worten präsentieren, die ihren Charakter offenbaren sollen. Ein Kandidat gewinnt die Entscheidung, der Besucher darf sein Date für 28 Tage mit nach Hause nehmen – und es dort enthüllen. Einzige Anhaltspunkte bis dahin sind die knappe Charakterzeichnung und vielleicht noch die Ahnung einer Silhouette: Ist es dick, ist es dünn?

„Blind date with a book – Verabredung mit einem unbekannten Buch“ heißt die Aktion in der Heinrich-Schulz-Bibliothek im Rathaus Charlottenburg. Derzeit stehen 123 Romane, eingewickelt in Packpapier, in einem Regal am Eingang. Nur aufgeklebte Zeilen geben einen Hinweis darauf, um was für ein Buch es sich handelt. Zusätzlich sind die Kandidaten mit einem Genre gekennzeichnet, wie Spannung, Zeitgeschichte, Unterhaltung, Liebe. Die beiden Auszubildenden Stefanie Klug, 21, und Luise Schlachter, 19, hatten die Idee zur Aktion. Anfang April läuteten sie die erste Runde ein, verpackten 85 Romane und stellten sie ins Regal. Sie hatten dafür die Mauerblümchen gewählt, die nur selten mal jemand mit nach Hause nimmt. „Das liegt ja oft nur daran, dass vielleicht der Einband nicht so schön, der Titel nicht so toll oder das Buch nicht so gut erhalten ist“, sagt Luise Schlachter. Dabei komme es doch auf die inneren Werte an.

Hübsch sehen die verpackten Exemplare aus, umwickelt mit farbiger Banderole und beklebt mit der Kurzbeschreibung. „Ein Vater beschließt Modellflugzeuge zu bauen. Dieser Beschluss wird die glücklichste Zeit im Leben seines Sohnes einläuten.“ Oder „Eine Frau, die beschließt, einen Roman über Männer zu schreiben. Über ALLE Männer.“

Auf Twitter war Stefanie Klug zum ersten Mal der Idee zum „Blind date with a book“ begegnet. Jemand hatte ein Bild von einem verpackten Buch online gestellt und es hatte sich rasant verbreitet. „In Amerika ist das schon sehr populär“, sagt Klug. Ihr und Schlachter war sofort klar, dass sie das auch machen wollten. Sie schlugen die Aktion ihren Vorgesetzten vor, die jedoch zunächst ablehnten.

„Klar, es hätte sein können, dass das nicht angenommen wird und wie Senkblei da stehen bleibt“, sagt Bibliotheksleiter Bodo Wolf. Doch er fand die Idee der beiden jungen Auszubildenden einfach zu bestechend. Überhaupt sei es für eine Bibliothek äußerst ratsam, sich auch auf neue Ideen einzulassen. „Das Alter bei Bibliothekaren liegt im Durchschnitt bei 55 Jahren“, sagt er – sein Alter. Schlachter und Klug bringen frischen Wind in die Bezirkszentralbibliothek. Gleich nachdem sie mit Schlachter das Rollregal in den Eingang gestellt hat, setzt sich Stefanie Klug an den Computer und kündigt die Aktion auf Facebook an. Mit der ersten Runde erreichten sie so viel Resonanz, wie es die Facebook-Seite der Bibliothek noch nicht gesehen hatte.

Bodo Wolf erklärt sich den Erfolg so: „Die Menschen lassen sich gerne überraschen und sie lieben es, etwas auszupacken.“ Und was könnte schöner sein als die Erkenntnis, dass unter einem unscheinbaren Kleid, einer abgegriffenen Oberfläche etwas steckt, das überrascht und begeistert. Franziska Felber

Heinrich-Schulz-Bibliothek, Otto-Suhr- Allee 96, Charlottenburg, Montag bis Freitag 11 bis 19.30 Uhr, Samstag 11 bis 14 Uhr.

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