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Berlin: Einmal Lokführer sein

Nach den Fachbesuchern kamen zur Innotrans die Eisenbahn-Liebhaber. Sie schwärmen eher für Historie als für Hightech

Tim ist sechs, und er lächelt selig, als sein Opa ihn wieder vom Führerstand herunterhebt. Gerade ist er auf einer echten Dampflok mitgefahren. Nicht weit, aber immerhin. Auch die kurze Strecke vom Messegelände bis zur Grenze des Gleisanschlusses und zurück ist ein Erlebnis. Tim hat dicken Rauch aufsteigen sehen, als sich die Lok der Baureihe 52 langsam in Bewegung setzte. Und weißen Dampf, als der Lokführer die Pfeife bediente. „Aber es stinkt ziemlich doll“, sagt er. Das scheint nur wenige abzuschrecken. Schon eine halbe Stunde nach Eröffnung der Innotrans zu den Publikumstagen sind die Schlagen am Stand des Eisenbahnvereins Röbel lang. Drei Euro für Erwachsene und ein Euro pro Kind – für fünf Minuten echte Dampflok-Atmosphäre ein fairer Preis.

Die Innotrans ist eine Messe für Schienentechnik, und zwar die größte der Welt. Sie findet alle zwei Jahre statt. Bis Freitag kamen 30 000 Fachbesucher, 6000 mehr als vor zwei Jahren. Die beiden Tage des Wochenendes standen dann ganz im Zeichen der Fans.

Nagelneu riecht es in einer Straßenbahn, die Bombardier ausstellt. Sie ist für die Verkehrsbetriebe im polnischen Lodz bestimmt und findet reges Publikumsinteresse. Ältere Männer zücken reihenweise die Fotoapparate und Videokameras, um das Neueste für die Schiene einzufangen. Dass die Hallen, in denen in den vergangenen Tagen dem Fachpublikum noch viel mehr Technik vorgestellt worden war, geschlossen sind, stört eigentlich niemanden. Immerhin verfügt die Messe über etwa zwei Kilometer Gleisanlagen, auf denen mehr als genug zu sehen ist.

So gibt es Triebwagen und Schienenbusse gleich in mehreren Varianten zu bestaunen. Dazu kommt ein Fahrzeug der Deutschen Bahn, mit dem Oberleitungen inspiziert werden und das bis zu 160 Stundenkilometer schnell fahren kann. Im Führerstand drängen sich Kinder mit Großeltern. Einmal an der Stelle des Lokführers Platz nehmen, „das kann man sonst ja doch nicht“, sagt Heinz Egers. Darum hat er auch seine Frau überredet, mit ihm auf die Innotrans zu gehen. Sie hat allerdings schon bei den Güterwaggons aufgegeben und sich lieber den fast echten Frank Sinatra im Festzelt angehört.

Klaus Bahlmann ist weniger wegen der großen Loks gekommen. Er stöbert an den Ständen, die eine reiche Auswahl von gebrauchten Modellbahn-Artikeln bieten. Und gekauft hat er auch schon etwas: Ein Guss-Schild von einer verschrotteten Dampflok. In großen Kisten sind die Schilder nach dem Betriebswerk sortiert, an denen die Maschinen stationiert waren. Bahlmann hat sich für Elbing entschieden: „Mein Vater kam aus Ostpreußen“.

Tim spielt inzwischen an der Duplo-Eisenbahn, die die Bahn in einem weiteren Zelt aufgebaut hat. Sie soll das Streckennetz von Brandenburg abbilden, und der Junge versucht gerade, eine der batteriebetriebenen Loks von Rheinsberg über Berlin nach Königs Wusterhausen und weiter nach Frankfurt an der Oder zu dirigieren. Hier ist die Welt der Schienen noch in Ordnung, die Befürchtungen des Fahrgastverbands „Pro Bahn“ haben sich am Spielzeugmodell nicht verwirklicht. Auch in Wirklichkeit – noch – nicht: An seinem Stand zeigt „Pro Bahn“ eine Karte mit den nicht mehr ganz so internen Planungen der Bahn AG, die alle Strecken zeigt, die das Unternehmen gerne loswerden möchte.

Tims Verbindungen gehören zum Teil auch dazu. Aber für derlei kritische Töne haben an diesem Wochenende nur die wenigsten ein Ohr. Sie schweben schon im Glück des Pufferküssers, als sie die harten Zylinderschläge der Dampflok am Eingang hören. Jörg-Peter Rau

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