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Berlin: Eintopf à la Präsident: Das schmeckte allen

140 Tagesspiegel-Leser erlebten an der Tafel der Demokratie das neue Staatsoberhaupt aus der Nähe

Sonntagnacht, um ein Uhr früh, hat sich das Volk den Pariser Platz zurückerobert – ohne Eintrittskarte und ohne VIP-Bändchen. Die Bürger, die Promis, der Präsident: alle weg. Jetzt machen die polnischen Wahl-Berlinerinnen Emilia und Sylwia mit ihrem Besuch ein Erinnerungsfoto vorm illuminierten Brandenburger Tor. „Was war denn hier los?“, fragen die Studentinnen mit Blick auf die Tischreihen, die Stapel benutzter Teller. Hier hat gerade der neue Bundespräsident Horst Köhler, 1943 im polnischen Skierbiezów geboren, mit 1400 Gästen aus ganz Deutschland an der „Tafel der Demokratie“ gesessen. Eine ungewöhnlich bürgernahe Art der Amtseinführung nach einer Idee des Vereins Werkstatt Deutschland.

Es war ein langer Abend: Während sich viele VIPs schon in die Wärme des Restaurants „Tucher“ flüchteten, blieben andere Bürger draußen – und zwar gerne. Am längsten besetzt war die Tischreihe der 140 Tagesspiegel-Leser. Sie genossen die Ahnung einer lauen Sommernacht, und auch Stephan-Andreas Casdorff, einer der beiden künftigen Tagesspiegel-Chefredakteure, blieb bis weit nach Mitternacht. Die letzten Gäste aber waren Lehrerin Marianne Vossoug und die 15-jährige Schülerin Sarah Tarfa von der Lankwitzer Bröndby-Gesamtschule.

„Ich hatte die Bewerbung für das Essen morgens früh spontan eingesteckt“, erzählt Frau Vossoug. Sie hatte mit ihrer 8. Klasse im Sachkundeunterricht gerade das Thema Bundespräsidentenwahl behandelt – da kam die Aktion des Tagesspiegels wie gerufen. Die Lehrerin fragte Sarah, die eine Collage zum Thema kreierte, ob sie mitkommen will. „So wurde das Thema auch für die Schüler greifbarer“, sagt Frau Vossoug. Für Sarah kam es gestern noch besser: Als die 15-Jährige an der Bühne stand, griff sich „Superstar“-Kandidat Phillip (der schlanke Typ mit dem Piercing) die Schülerin und zog sie auf die Bühne zu Rapper Eko Fresh. Den findet sie gut – aber auch den neuen Bundespräsidenten. „Obwohl meine Lehrerin und ich für Gesine Schwan waren, schon deshalb, weil sie eine Frau ist.“ Nun hat Marianne Vossoug ihrer Kollegin Eva Köhler – die Frau des Präsidenten arbeitete früher mit lernbehinderten Kindern und ist Grund- und Hauptschullehrerin – einen Schulprospekt und eine Einladung überreicht.

Das Gerangel um die Plätze an diesem Samstagabend, die Schlangen am Eingang und vor den Toiletten – alles vergessen. „Man stand zwar ewig, kam dafür aber mit lauter netten Menschen ins Gespräch. Ich habe den Abend genossen“, sagt Leserin Doris Graf-Bergfeld. Eine andere Leserin würde Horst Köhler gern davon erzählen, wie schnell die Rente trotz Pflegeversicherung aufgebraucht ist, sobald man nur wenige Leistungen einer Pflegestation in Anspruch nehmen muss. Eine andere würde Köhler und Politiker-Kollegen raten, ruhig mal die eigenen Kinder zu offiziellen Terminen mitzunehmen, um die Stellung der Jüngsten in der Gesellschaft auch symbolisch zu stärken. Doch dann ist auch eine kritische Stimme zu hören. „Köhler sollte sich das ganze Brimborium hier sparen“, sagt ein Mann, „dann hat er Zeit für das wirklich Wichtige.“

Annette Kögel

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