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Berlin: Elke Hupe (Geb. 1956)

Sie verschwieg, wenn sie jemanden kennen lernte, was sie machte

Der Museumsaufseher hat die ideale Beobachtungsposition. Er steht in einer Ecke des Museumssaals und kann ungestört jeden Besucher in Augenschein nehmen. Denn er wird selbst nicht beobachtet. Während er die Kunstwerke hütet, wird er zu einem Teil der ausgestellten Stücke. Er sieht die Schulklassen, die ihre Pflichtbesuche absolvieren, die Kenner, die alles schon wissen, bevor sie das Museum betreten haben, die Gelangweilten, die Genauen, die ihren Kopf die ganze Zeit in den Katalog stecken, und die Beharrlichen, die stundenlang vor einem Gemälde stehen bleiben. „Wo haben Sie denn die Möglichkeit“, sagte Elke Hupe in einem Gespräch für das Buch „Ansichten von Aufsichten“, „zu so einen interessanten passiven Kontakt mit Menschen?“

Der Museumsaufseher wird zu einem Menschenkenner. Schon die Garderobe gibt Aufschluss: „Wie sich die Leute kleiden: zu 90 Prozent schlecht. Die sollten einmal zu mir kommen, ich könnte es ihnen zeigen.“ Sie trug ausschließlich Kostüme, unter den Jacken Blusen mit Rüschen, und Pumps mit Absätzen von mindestens zehn Zentimetern, auch wenn sie den ganzen Tag Dienst im Museum hatte: „Ich kann auf flachen Schuhen einfach nicht laufen.“ Worin sie sich von den meisten Museumsbesucherinnen und Frauen im Allgemeinen unterschied, war ihr Hütchen mit einem schwarzen Netz, das knapp ihre Augen bedeckte. Schon damals, zur DDR-Zeit, als sie noch in einer Apotheke arbeitete, dachten die Leute, dass müsse eigentlich eine vom Theater sein.

Sie glich tatsächlich der Dame auf ihrem Lieblingsbild im Märkischen Museum, einer Grisaille von Lesser Ury aus dem Jahr 1888. Darauf steht eine Frau mit Hut und Hund auf der Friedrichstraße, eine prächtige Boa um den Hals geschlungen. „Ich mag Bilder aus dieser Zeit, vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.“

Der Museumsaufseher wird auch im Lauf der Zeit zu einem Kunstkenner, zumindest der von ihm bewunderten Werke. „Seit ich im Museum arbeite, habe ich nur noch Ölbilder zu Hause. Ich würde gar nichts anderes mehr kaufen. Es muss nicht alt sein, aber es sollte ein altes Motiv haben.“ In der Wohnung in Friedrichshain, in der sie aufgewachsen war, in der sie mit ihrer Mutter und nach deren Tod allein gelebt hatte, hingen vor allem Waldlandschaften an den Wänden. „Man entwickelt schon ein Gespür für Kunst.“

Von Eintönigkeit in ihrem Beruf also konnte nicht die Rede sein. Genau vor dieser aber hatte es ihr gegraust zu Beginn: „Zuerst habe ich gedacht: So einen Job macht man eigentlich nicht. Da verblödest du ja.“ Sie verschwieg, wenn sie jemanden kennenlernte, was sie machte. Und war trotzdem froh, etwas gefunden zu haben nach den Monaten der Arbeitslosigkeit.

Anfänglich musste sie raus ins Dorfmuseum nach Marzahn, durfte dann aber ins Märkische Museum und ins Ephraim-Palais und unterschrieb einen Dauervertrag: „Das war so etwas wie ein Lottogewinn.“ Sie stieg auf von der einfachen Museumsaufsicht zur Oberaufsicht und zur Regiekraft, die für die Dienstpläne zuständig ist. 50 Mitarbeiter hatte sie zu betreuen, war immer offen, wenn jemand mit einem Problem zu ihr kam, auch in ihrer Funktion im Personalrat. Sie fragte, sie hörte zu. Und sie sprach sehr gern, unbekümmert, berlinernd. Stieg sie von ihrem Büro in der dritten Etage des Ephraim-Palais die Wendeltreppe hinab, hörten sie die Kollegen im Parterre lange, bevor sie sie sahen.

2011 wurde ihre helle Stimme schwächer. Die Ärzte hatten einen Tumor in ihrer Brust gefunden. Sie zog sich zurück. „Über Krankheiten spricht man nicht“, hatte ihre Mutter immer gesagt.

Elke Hupe kehrte zurück ins Museum, kandidierte zwar nicht mehr für den Personalrat, tat ihren Dienst aber wie gewohnt. Bis ihr eines Tages die Stimme ganz wegblieb. Dieses Mal fanden die Ärzte einen Tumor in der Lunge.

Einen Hut hat sie seitdem nie wieder aufgesetzt.

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