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Jetzt hat er was Eigenes. Johann von Bülow, entfernter Neffe von Loriot, liest Texte seines Onkels.

© Jan Wirdeier

Erinnerung an Vicco von Bülow in Berlin: Loriot-Neffe ante Portas

Seinen berühmten Onkel hat Johann von Bülow nicht allzu oft gesehen. Doch die Erinnerung an Loriot hält er wach – mit der Lesung fast vergessener Texte aus der Illustrierten „Quick“.

Auf der Leinwand im Hintergrund prangt eine Figur mit dicker Nase. Licht aus, Spot an, Johann von Bülow betritt die Bühne. Die ist schlicht gehalten für das heutige Schauspiel, die Buchpremiere, trägt nur einen Tisch mit Wasser, einen Stuhl mit geschnörkelter Lehne. Von Bülow trinkt einen Schluck – und kommt direkt zum Wesentlichen: „Sehr geehrte ,Quick‘!“ Ab 21. Oktober liest der Schauspieler in der Bar jeder Vernunft in Wilmersdorf aus den Kolumnen, die sein Verwandter Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot, zwischen den Jahren 1957 und 1961 im Zwei-Wochen- Rhythmus in der Illustrierten „Quick“ publizierte. Bülow liest Bülow. Die Texte mit den zugehörigen Zeichnungen, mehr als hundert insgesamt, gaben Loriots Tochter Susanne von Bülow, Peter Geyer und Oa Krimmel jetzt bei Hoffmann und Campe heraus: „Loriot. Der ganz offene Brief“.

Der Größte. Vicco von Bülow alias Loriot starb 2011 im Alter von 87 Jahren.
Der Größte. Vicco von Bülow alias Loriot starb 2011 im Alter von 87 Jahren.

© dpa

Johann von Bülow erweckt noch mal zum Leben, wie der entfernte Onkel sich in seiner Kolumne über „Tragödien am Rande des Alltags“ echauffierte. Um Herrenmode geht es da, Massentourismus und weibliche Kommunikation. Dann belustigt sich Loriot über die Innovationen der 60er oder Irrtümer und Verwirrungen von Ämtern und Justiz. Eine Kolumne widmete er gar den Gläsern von Oliven.

Jetzt liest von Bülow im dunklen Anzug, erinnert an einen Fernsehansager aus vergangener Zeit. Mit meist ernster Miene und gestochenem Hochdeutsch phrasiert er die Texte von Loriot. Jede Atempause sitzt. „Hochachtungsvoll – Loriot“, gesäuselt oder geseufzt, so schließen die Kolumnen.

Von Bülow, leger. Der Loriot-Neffe arbeitet sonst als Schauspieler.
Von Bülow, leger. Der Loriot-Neffe arbeitet sonst als Schauspieler.

© Marie Rövekamp

Die Sammlung der Briefe sei ein Geschenk, sagt von Bülow. Er freue sich, aus dem Buch lesen zu dürfen – obwohl er der Aufgabe mit Respekt begegne. Loriot könne man unmöglich nachahmen. Aber das sei auch gar nicht sein Ziel. „Das wäre Selbstmord“, sagt er.

Jetzt sitzt der 43-Jährige am Wilmersdorfer Auftrittsort, trägt das rötliche Haar kurz frisiert und recht förmlich ein Jackett. Er trinkt doppelten Espresso und bestaunt das Zelt der „Bar jeder Vernunft“, das morgens um zehn so menschenleer und hell erleuchtet ganz anders wirkt als beim Abendprogramm. Bei der Premiere am 9. September hat von Bülow hier die Lesung schon mal durchexerziert.

Bülow interpretiert Bülow

Es solle darum gehen, Loriot als Autor (wieder) zu entdecken. „Er war ein großartiger Sprachakrobat mit Rhythmusgefühl“, sagt von Bülow. Über den Rhythmus müsse er die Texte hörbar machen, „wie Musik“. Dabei den Loriot’schen Rahmen aber auch mal brechen, das sei nötig. Er bringt den Vergleich: „Mozart auf der E-Gitarre spielen“. Bülow interpretiert Bülow. Und macht sein eigenes Ding. Die Lesungen sind vielmehr Theater. So trägt er die Reaktionen von Anzeigenabteilung und Lesern auf Loriots Texte in der „Quick“ vor: Eine Buchhalterin schwäbelt, einen Herrn Navarra lässt er aus Österreich kommen und einen anderen Schreiber aus Russland.

Nur ein paar Mal den Onkel getroffen

Welche Beziehung Vor- und Nachfahr pflegten? Eine weniger enge, als man annehmen mag. Wenn er „verwandt“ sage, stellten sich die Leute immer gleich gemeinsame Weihnachten vor. Dabei habe er den entfernten Onkel im Leben selbst nur dreimal gesehen. „Wenn ich aber ab jetzt immer als der Neffe oder Enkel von Loriot verhaftet werde, zahle ich diesen Preis gern“, sagt er. Da gebe es Schlimmeres. Der Nachname sei für ihn weder Fluch noch Segen. Früher hätte er sich gesorgt: „Wenn man sich in die Öffentlichkeit begibt, will man ja als eigenständige Person wahrgenommen werden.“ Inzwischen hat von Bülow aber genug eigene Sachen gemacht, beispielsweise im Film „Adlon – eine Familiensaga“ gespielt und in mehreren „Tatorten“, den Bösewicht wie den Guten. In der Serie „Mord mit Aussicht“ ist von Bülow jetzt Bürgermeister. Und im Sankt-Pauli-Theater in Hamburg war er dieses Jahr wieder auf der Bühne zu sehen.

Der junge Bülow wollte Anwalt oder Diplomat werden

Er schätze die Abwechslung, sagt er. So sei er zwar schwer zu verorten. „Aber es könnte gar nicht besser laufen.“ Von Bülow springt hin und her zwischen extremen Rollen. Wieso sollte er sich zum Beispiel noch mehr Wahnsinnige wünschen? „Das wäre vermessen“, sagt er. „Was soll ich denn noch machen?“

Zu Schulzeiten hätte er sich auch vorstellen können, Anwalt zu werden, oder Diplomat. „Aber vielleicht hätte ich da immer nur gespielt?“ Jetzt ist er froh, sich komplett für das Spiel entschieden zu haben. Er sammelt und archiviert alles, was seine Arbeit spiegelt: Kritiken, Fernsehzeitschriften, Filme, in denen er vorkommt. Sogar Videokassetten mit Serien aus den 90ern. Die meisten Aufnahmen habe er selbst nie gesehen. „Aber sonst bleibt ja nichts.“ Er brauche den Beweis im Regal, dass seine flüchtige Arbeit jemals stattgefunden hat. Dann steht wohl bald ein weiteres Hörbuch in der Sammlung. Auf dem Cover ein Gesicht mit Nase. Eine Nase mit Gesicht.

Johann von Bülow liest „Loriot – Der ganz offene Brief“. Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24 (21. bis 26. Oktober, Di. bis Sa. 20 Uhr, So. 19 Uhr. Tickets zwischen 29,50 und 34,50 Euro; an der Abendkasse: 26 bis 29,70 Euro, ermäßigt 12,50 Euro. Näheres unter www.bar-jeder-vernunft.de

Milena Menzemer

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