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© Mike Wolff

Würste im Test: Erneuter Sieg für den Neuköllner Wurstritter

Zur Eröffnung der Grillsaison legte unsere monatliche Testrunde ungebrühte grobe Bratwürste aus dem Berliner Handel in die Pfanne - und wurde nach einigen Enttäuschungen an nicht unerwarteter Stelle fündig.

Womöglich stehen die Jagd- und die Grillsaison in engerer Verbindung, als man es anzunehmen bereit ist. Der rasche Übergang vom Rohen ins Gare, der über nichts weiter als einem Haufen glühender Kohlen statt findet, gehört zu den ältesten Techniken der Menschheit. Der Jagdaspekt schließt sich hier an. Denn diese archaische Zubereitungsweise vermag die Illusion zu wecken, man hätte das Tier auf dem Rost persönlich erlegt.

Selbst wenn es sich um harmlose Hausschweine handelt, die in Tierfabriken systematisch herangemästet werden, verschwindet der Gedanke mitnichten. Es spricht viel dafür, dass er heute sogar zur Beruhigung des Gewissens herhalten muss. Vielleicht bilden diese Gründe zusammen eine Erläuterung für die Tatsache, dass namentlich die Bratwurst in Deutschland zum Kulturgut zählt.

Sternekoch Matthias Buchholz, dessen Küche Schauplatz der Bratwurst-Verkostung der monatlichen Testrunde war, wies denn eingangs auch einen Maibock vor, der jetzt auf seiner Karte erscheinen wird. Das dunkel schimmernde Fleisch stand optisch in deutlichem Kontrast zu den eher fahlen, mehr ins Grau spielenden Würsten, die von ausgewählten Fleischereien der Stadt stammten. Zunächst wandte man sich den groben, ungebrühten Bratwürsten zu, die – zumeist hergestellt aus Schulter und Bauch im Verhältnis 2:1, seltener mit Anteilen vom Schinken – der so genannten Hackfleischverordnung unterliegen. Sie bieten am ehesten die Gewähr, den genuinen Schweinegeschmack zu erleben. Allerdings ist er, wie Buchholz bedauerte, als Folge der Massenproduktion weitgehend abhanden gekommen. In diesem Zusammenhang galt das besondere Augenmerk dem Biofleisch.

Schon die rötliche Farbe verrät das Pökelsalz

Doch was die Biofleischerei Feindura anbietet, bestätigt alle Vorurteile, die in dieser Sache im Schwange sind: Kein echtes Aroma, kein Biss, dafür Labberigkeit in Reinkultur - und damit ein ernst zu nehmender Konkurrent der Taifun-TofuGrillknacker, die im selben Biomarkt als Fourpack verkauft werden. Auch die Fleischerei Bachhuber, einst Pionier auf diesem Gebiet, kann nicht überzeugen. Bereits die rötliche Färbung schien Buchholz zu verraten, dass Pökelsalz im Spiel sei. Es verharrt lange im Mund und ruft geradezu eruptiv Durst hervor. Sowohl die grobe, aber etwas schwammige Bratwurst, die mit bitterem Abgang aufwartende Thüringer als auch die mit Fenchel versetzte, zudem recht fette Salsiccia schieben Salz unangenehm in den Vordergrund.

Bereits das Schnittbild der groben Bratwurst von Ullrich in Tempelhof offenbart ein dichtes Mett, das eher dem Fleischkäse angenähert ist und den Zähnen zähen Widerstand bietet. Während Ullrichs mit Calvados aromatisierter Typ spontan Ablehnung hervor rief, wirkte die der Mode gehorchende Bärlauch-Bratwurst hinter einem straffen Darm wie Kräuterbutter auf animalischen Abwegen. Mischkes Bratwurst, die vor allem dem Fett huldigt, platzt bereits bei geringer Hitze und mag höchstens als Kochwurst auf einer alkoholseligen Party zu reüssieren.

Bissen um Bissen geht die anfängliche Präsenz verloren

Hinkel, der vor einiger Zeit die unvergessene Fleischerei Obitz in der Wilmersdorfer Ludwigkirchstraße übernommen hat und wie sein Vorgänger auf die Marke Landjuwel („Einklang mit der Natur") setzt, musste sich von der Runde vorhalten lassen, dass seine Därme wohl nicht umsichtig genug gewässert wurden. Zumindest würde das den muffigen, oxidierten Ton erklären, der an eine Plastiktüte erinnert, die Tage im Kühlschrank verbracht hat.

Die alt gediente Fleischerei Staroske an der Potsdamer Strasse, die ebenfalls mit Landjuwel nicht gleich kulinarische Diamanten zu schleifen versteht, pocht mit ihrer groben Bratwurst allzu sehr auf Majoran. Überraschend pfeffrig und relativ fleischig-tief dagegen präsentierte sich Staroskes fränkische Bratwurst. Weißer Pfeffer, wenn er derart entschlossen in Stellung gebracht wird und auf die schlesische Tradition verweist, verdient Aufmerksamkeit – zumal das Brät erfreulich unfettig und mürbe in Erinnerung bleibt. Dennoch verliert es Bissen um Bissen ein wenig von der anfänglichen Präsenz. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es ausgerechnet der Fluch der Akribik sein könnte, der diese Wurst dem Verdacht aussetzt, allen gefallen zu wollen.

Das in Frage stehende Wurstangebot der Galeries Lafayette möchte demgegenüber das westliche Nachbarland mit der gebotenen Verve vertreten. Dass es nicht ganz zu Ehren der Grande Nation gelingt, hängt vermutlich ursächlich mit diesem Drang zusammen. Doch die Toulouser schied gleich wegen Überschreitung der Altersgrenze aus, die Cipollata glänzte vor Fett und stumpfte den Gaumen ab in Folge aggressiven Salzeinsatzes, so dass die Zwiebelnote mit wehender Tricolore unterging. Bei der alles in allem erfreulichen Merguez, in der Kreuzkümmel, Limonenzeste und Paprika für Furor sorgen, könnte man allenfalls die unregelmäßige Stopfung rügen. Über dem Grill (bei zur Seite geschobenen Kohlen, was sich grundsätzlich bei diesem empfindlichen Bratgut empfiehlt) wird dann noch der unverhältnismäßig harte Schlauch zum Problem.

Weißer Pfeffer und Bärlauch

„Eine gute Wurst braucht keinen Senf" – dieser Grundsatz von Matthias Buchholz wurde deutlich, als die Tafelrunde sich endlich den Zufriedenheit vermittelnden Prüflingen zuwenden konnte. Denn diese zur gelben Paste erstarrte Spielart der Vinaigrette stimuliert am Gaumen gänzlich andere Rezeptoren als das in kommensurable Form gebrachte Schweinefleisch. An dieser Stelle ist die von Lindenberg vertriebene, die Nähe zu junger Salami nicht verleugnende Salsiccia maßgebend, wenngleich ein bisschen mit Fenchelsamen überwürzt und säuerlichem Akzent versehen. Im Verein mit einer Scheibe Polenta, die gegrillt viel von ihrer Redundanz verliert, kann man mit dieser Bratwurst italienische Kirmes spielen. Modernität demgegenüber verspricht die Bärlauch-Bratwurst von Gerlach nicht einfach so. Weißer Pfeffer und Bärlauch geben dem an sich schon sehr präsenten Schweinearoma zusätzliches Volumen und Power. Unter den Spezialwürsten war Gerlachs Erzeugnis eindeutiger Spitzenreiter.

In ihrer unmittelbaren Frische schob sich die grobe, supersaftige Bratwurst der Fleischerei Bauermeister schon fast in impulsiver Manier nach oben. Obwohl sie durchaus eine kochschinkenhafte Art besitzt, über die lediglich Gastro-Scholastiker wirklich in Disput geraten können, erhält Bauermeisters nur herzhaft zu nennender Bratvorschlag durch Liebstöckel einen überraschenden Charme, der nie ins bloß Maggihafte abgeleitet. Kulanter Knoblauchduft, eine erst spät erst beim Durchkauen sich richtig öffnende, gesunde Portion Chili machen die fränkische Bratwurst desselben Metzgers zu einem kleinen Ereignis.

Die grobe Bratwurst ungebrüht gewinnt

Bauermeister behauptete einen soliden dritten Platz, entging jedoch einer höheren Einstufung, weil die Fleischerei Bünger sowohl in der von Grieben in Perlengröße bestimmten Textur als auch im klassischen, von leichtem Majoran und vorsichtig eingesetztem Kümmel bestimmten Aroma einen Grad der Perfektion erreicht, der selten ist. Die Fleischerei, die von unserem Regierenden Bürgermeister bevorzugt wird, integriert obendrein ein die Consommé streifendes Aroma in den mürb-saftigen Fleischteig.

Sie hätte den Sieg verdient gehabt, aber im letzten Moment kam ihr der nicht von ungefähr mit Ehrungen überhäufte Blutwurstritter Marcus Benser mit seiner groben Bratwurst ungebrüht in die Quere. Die Wurst aus der Manufaktur, aus der Berlins beste Blutwurst stammt, zeichnete sich durch einen Vorzug aus, der sonst nicht zu verzeichnen war: Sie überzeugte auf Anhieb und erfreute den Gaumen mit einer gleichsam schmetterlingshaften Geschmacksentfaltung. Abgesehen vom urigen Anblick sind Gehalt und Würze derart ausgewogen, dass einem ein Klacks Kartoffelbrei in den Sinn kommt, den man gerne zu ihr verzehren würde. Ein größeres Kompliment kann man einer Bratwurst kaum machen.

Die Bratwurst „spricht" die Universalsprache der Wiederholung; deshalb ist es bei ihr, die noch dazu eine abgeschlossene Essenseinheit bildet, mehr als bei anderen Speisen entscheidend, sie im Licht der Abwechslung zu erleben. Gottlob ist das in Berlin noch möglich.

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