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Berlin: Erotik von der Stange: Das zweite Leben des Café Moskau

Nach jahrelangem Leerstand fand an der Karl-Marx-Allee die erste Privatmesse statt

Mitte. Vor dem Eingang mit der Mosaikwand bunter Volkskunstmotive aus der großen ruhmreichen Sowjetunion steht eine breite Liege, auf deren Tigerfell sparsam bekleidete Damen und Herren lagern, was zweierlei sagen soll: Lotterbett! und: Hier kriegste was zu sehen. Das branchenübliche Getue, Gefummele und Gestöhn kommt später – zunächst soll die lange Schlange am Eingang schon mal auf satte 18 Euro vor-erotisiert werden. Das ist der Preis für den Besuch der Erotikmesse, die bis gestern Nacht Männer von 18 bis 80, Paare, viele Solo-Frauen und sogar ganze Familien mit „Kindern“ ab 18 ins ehemalige Restaurant „Moskau“ gelockt hatte. Das Ganze entbehrte nicht der Pikanterie, denn die Show nackter Tatsachen, der Verkauf erotischer Utensilien, Elixiere und Lustteufeleien wie die kilometerlangen Darbietungen bewegter Männer eröffneten das alte Nationalitäten-Restaurant „Moskau“ zu neuem Leben. Was erkennen wir wieder nach dieser Metamorphose vom züchtigen Ess- zum Hüpf-und-Strip-Lokal? Eigentlich so gut wie gar nichts.

„Der Veranstalter musste, dem Wesen seiner Darbietungen entsprechend, die Räume so gestalten, dass deren eigentlicher Charakter nicht oder nur sehr spärlich zum Vorschein kommt“, sagt Wolfgang Höcherl, der das „Moskau“ von der Treuhand bekam, etwas traurig. Lieber hätte er als erste Veranstaltung in den historischen Räumen eines renommierten DDR-Restaurants mit Tanz- und Nachtbarbetrieb etwas Solides wie eine Baumesse gehabt, aber jetzt macht seine Firma BEKA erst einmal einen Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit, und da kamen die professionellen Erotiker wohl gerade recht, schließlich kostet Moskaus Umbau allein innen 300 000 Euro, „und wir waren noch gar nicht fertig, da standen die schon mit ihrem Table Dance im Haus“.

Es sieht noch alles ein wenig improvisiert aus. Wer das Moskau von früher kannte, findet sich zunächst nicht zurecht, zumal die hohen Fenster, die dem Ganzen etwas sehr Offenes geben, mit schwarzer Folie abgedeckt sind. Wer gleich vorn rechts in die Kellerbar gerät, sieht die alten Sitzecken mit ihren roten Leser-Sofas, er wird zum Piercing gebeten und darf sich aussuchen, wohin was gepierct werden soll. Große Mode! Ansonsten hatten die Leute vom WMF-Club den besten Riecher, dieses plauschige Plätzchen für das Berliner Nachtschwärmerdasein wieder zu erwecken.

Im Parterre erinnern nur noch die abgedeckten Holzwände an das frühere Restaurant, in dem es 1962 vor allem russische Spezialitäten, später, nach einem Umbau in den achtziger Jahren, aber auch viele andere Gerichte gab. Nur – Moskauer Lokalkolorit war irgendwie immer dabei, an den Wänden als Kupfermosaik-Schmuck mit russischen Bauwerken, im Kochtopf als Soljanka getarnt und am Eingang mit dem „Herzlich Willkommen!“, was so viel heißt wie „Dobro poschalowatch“.

Im Innenhof, wo man während der erotischen Tage hautnahen Kontakt zu kalter Cola und den Mädels von der Stange herstellen konnte, soll wieder, wie früher, ein kleiner Brunnen plätschern und die große Weltkugel-Metallplastik des berühmten Fritz Kühn restauriert werden. Ansonsten steht das ganze Haus unter Denkmalschutz, und der Mann, der das Moskau dem Dornröschenschlaf abgekauft hat, freut sich schon auf die seriöseren Events im Haus: Stadtplanungskongress, Weinverkostung, Ostpro. Am liebsten würde er die kleinen Räume, in denen einem gestern noch die Tangas um die Ohren flogen, für Familienfeiern vermieten. „Die Leute können dabei ruhig ihren Kartoffelsalat mitbringen.“ Das wäre auch sehr ratsam, denn die warme Küche ist im Konzept nicht vorgesehen. Lothar Heinke

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