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Berlin: Erst gewonnen, dann verloren Den Wechsel möglich gemacht und nun wieder in der Opposition

Strecken, recken, dehnen – und wieder auf ein Minimalmaß zusammenschrumpfen. Mit den politischen Leibesübungen, die die Grünen im vergangenen Jahr zwischen Opposition, kurzem Senats-Intermezzo und wieder Opposition zum Besten gaben, schafften sie die Qualifikation für die Spitzenliga der regierenden Parteien nicht.

Strecken, recken, dehnen – und wieder auf ein Minimalmaß zusammenschrumpfen. Mit den politischen Leibesübungen, die die Grünen im vergangenen Jahr zwischen Opposition, kurzem Senats-Intermezzo und wieder Opposition zum Besten gaben, schafften sie die Qualifikation für die Spitzenliga der regierenden Parteien nicht. Obwohl das Jahr 2001 für sie mit einer Steilvorlage hervorragend begann.

Als erste Berliner Partei nutzten die Grünen die „Götterdämmerung des Systems Diepgen-Landowsky“, wie Fraktionschef Wolfgang Wieland den Beginn der CDU-Spendenaffäre Ende Januar bezeichnete. Schnell setzte sich die Partei an die Spitze der Opposition. Im Februar 2001 war der Landesverband von einer solchen Aufbruchstimmung begriffen, dass ohne die üblichen Flügelkämpfe ein bis dahin unvorstellbarer Tabubruch vollzogen wurde: Die Grünen boten neben der SPD auch der PDS Gespräche über eine Regierungsbildung an. Unverkennbar zeigte die Partei ihren Willen zum Mitregieren und wurde mit drei Senatoren in der Übergangsregierung belohnt: Wolfgang Wieland (Justiz), Adrienne Goehler (Kultur und Wissenschaft) und Juliane Freifrau von Friesen (Wirtschaft).

Die Chance, jetzt in der Regierung nach vorn zu schauen, Ziele zu formulieren und mit einem prominenten Grünen-Spitzenpolitiker wie Cem Özdemir wichtige Wählerstimmen auch aus dem bürgerlichen Lager auf sich zu ziehen, nahm die Partei nicht wahr. Der Wahlkampf stand fast ausnahmslos monothematisch unter dem Titel „Gegen Filz und Korruption“. Für die Vermittlung bildungs- und wissenschaftspolitischer Akzente, die Adrienne Goehler setzte, blieb zu wenig Zeit. Nach dem 11. September war die politische Agenda ohnehin verschoben.

Für Rot-Grün reichte es mit einem Wahlergebnis von 9,1 Prozent nicht mehr. Halbherzig zogen die Grünen in die Ampelverhandlungen. Vom Regierungswillen spürte man bald nichts mehr. Was blieb war das Streben, nicht den Schwarzen Peter beim Scheitern der Verhandlungen zugeschoben zu bekommen – um sich schnell wieder in die altbekannte Oppositionsecke zu verziehen.

Viel hat sich durch das Regierungs-Intermezzo nicht verändert. Die Grünen stehen wieder da, wo sie Anfang 2001 ihre Diskussionen um einen programmatischen Neuanfang stoppten: Wie gelingt der Übergang von einer Protest- zu einer Gestaltungspartei? Die versandete Metropolen-Debatte über grüne Inhalte in einer Großstadt wie Berlin im 21. Jahrhundert müsste schnell wieder aufgenommen werden.

Mit der Parole „konstruktiv, kreativ, kritisch“ versuchen die Grünen, eine andere Oppositionspolitik zu praktizieren. Das Schwarz-Weiß-Denken unter der Großen Koalition funktioniert aber nicht mehr. Und den plumpen Kontrapunkt zu Rot-Rot will die Partei auch nicht geben. Deshalb bezeichnet sie sich heute als „Opposition der Mitte“, die sich erst noch gegen das bürgerliche Lager mit CDU und FDP behaupten muss.

Früher hörte man bei den Grünen „Wir müssen unser Profil schärfen“. Jetzt heißt es schon öfter „Wir suchen unser Profil“. Und das kann in dieser Partei lange dauern. Vorher werden die Wähler dann schon längst entschieden haben, ob die Grünen genuin eine Oppositionspartei sind. Sabine Beikler

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