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Berlin: Es geht um die Wurst: Duell mit Grillzangen

Wenn es um die Wurst geht, tun sich bisweilen menschliche Abgründe auf. Am Alexanderplatz geht es um Rostbratwurst.

Wenn es um die Wurst geht, tun sich bisweilen menschliche Abgründe auf. Am Alexanderplatz geht es um Rostbratwurst. Wer dort mit einem Jieper nach Gegrilltem aus der U-Bahn hastet, den führen gegenüber von Saturn gleich zwei Wurstverkäufer in Versuchung: der eine in neongrüner Jacke und im Rollstuhl sitzend, der andere BSR-Orange gekleidet und stehend. Doch während die Passanten mit Lächeln, "bitte schön" und "guten Appetit" bedient werden, liefern sich die fliegenden Händler untereinander einen erbitterten Kleinkrieg. Jede verkaufte Wurst wird mit finsteren Blicken geahndet.

Die Orangenen von der Firma "Grillwalker", die weitere "Filialen" in der Pank- und in der Friedrichstraße unterhält, waren zuerst da und wären auch lieber alleine geblieben. "Mitleid zieht eben immer", meint Reinhard Reichert, einer vom orangenen Zweier-Team. Er meint den behinderten Konkurrenten, und er meint es nicht freundlich. "Wir sind schon vor vier Jahren gekommen", sagt Sven Schmidt, der den tragbaren, rund 20 Kilogramm schweren Grill schleppt, "wir haben uns hier einen Kundenstamm aufgebaut." Doch vor einem halben Jahr trat Leonhard André auf den Plan und machte den "Grillwalkern" als "Grillfahrer" Konkurrenz. Bei André erhält man die Wurst im Brötchen samt Ketchup oder Senf in nicht ganz so schnellem Tempo wie bei der Konkurrenz zwei Meter weiter. Die Hände des Behinderten sind nicht so flink. Doch weil er trotzdem eine Thüringer nach der andern verkauft, hat er schon Einiges von den "Grillwalkern" einstecken müssen.

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Er tropfe so schlampig mit seinem Fett herum, sagt etwa Reichert über den Rolli-Fahrer. Eine Anzeige wegen Umweltverschmutzung sei unterwegs. Vor allem aber habe André das Patent des tragbaren Grills, den es so nur in Berlin gebe, unrechtmäßig kopiert. "Es gibt Menschen, die können nicht leben, wenn andere gut leben", weiß Andrés Chef Gennadi Fjodorov. Es handle sich bei seinem Geschäft um ein Integrationsprogramm für behinderte Arbeitslose, das von Arbeitsamt und Senat unterstützt wird. "Die andern haben nur Angst, dass sie weniger verdienen." Finanzielle Einbußen habe man in der Tat, sagt Schmidt. Im Schnitt verkauft er 300 Würstchen pro Tag, Thüringer, "nur Qualitätsware und nur Schwein". Die Ware wird auf einem am U-Bahngitter angeketteten Fahrrad gelagert. Zu zweit wechseln sie sich ab mit dem Tragen des Gestells. Das Gas für den Grill strömt per Schlauch aus einer Art Rucksack unter die zu grillenden Würstchen. Das Geschäft - 2,50 Mark die Wurst - läuft gut. Der "Grillfahrer" nimmt den gleichen Preis. Sein Schirm ist nicht bunt, sondern gelb. Er trägt keine Schirmmütze, sondern eine blaue Wollkappe. "In allem andern hat er uns alles nachgemacht", beschwert sich Reichert.

"Alles Quatsch", sagt André. "Bauchwagen gab es schon früher", sagt Fjodorov, "hier ist nichts kopiert worden." Er habe nur den tragbaren Grill für Behinderte entwickelt - und ebenfalls zum Patent angemeldet. Man müsse das Fahrrad schließlich nicht zweimal erfinden. Sein Mitarbeiter werde beschimpft, die Anzeigen, die es von der Gegenseite hagelt, seien geschäftsschädigend. "Aber wir geben nicht auf."

Leonhard André wird sich also weiter Unfreundlichkeiten anhören müssen, etwa die, dass nur die Berliner auf dem Alex verkaufen sollten, während die Russen auf den Roten Platz gehören. Man ahnt es: Leonhard André ist Russe, aus Wolgograd, seit fünf Jahren in Deutschland. Und das mit der Globalisierung scheinen seine missgünstigen Kollegen trotz des halbenglischen Firmennamens noch nicht "gefressen" zu haben. "Berlin ist groß", murrt Reichert, "der kann doch woanders hingehen." Muss er aber nicht. Eine Verkaufsgenehmigung vom Amt liegt vor. Und die gilt für den ganzen Bezirk.

Katharina Körting

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