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Berlin: Es gibt ein Leben nach dem „Cabaret“

Joel Grey spielte in dem berühmten Musical den Conférencier. Jetzt ist er mit einer Ausstellung da und zieht mit der Kamera durch die Stadt

Spannende Frage, wie Berlin wohl durch seine Brille aussehen wird. Joel Grey, der Schauspieler, tritt zum ersten Mal in Europa als Fotograf in Erscheinung. Am Donnerstag eröffnet er im Café Einstein Unter den Linden eine Ausstellung, seine zweite bislang. Die Rolle seines Lebens ist die eines Conférenciers im Berlin der dreißiger Jahre – in „Cabaret“. Gleich in zwei Versionen gab Grey den Conférencier, im Musical und im Film. Die Geschichte basiert auf Erzählungen Christopher Isherwoods. Sind schon ein bisschen her, die Dreißiger, es hat sich viel getan inzwischen. Also, Mr. Grey, wie sieht Berlin durch Ihre Augen aus?

Grey lacht. „Es wird Sie vielleicht überraschen, wenn ich Ihnen sage: Das weiß ich noch nicht. Ich war bisher nur einmal in Berlin, drei Tage, vor gut vier Jahren.“ Die Berlin-Szenen des Films wurden in München gedreht. Grey sagt: „Es war nicht nötig, Berlin zu kennen, um den Conférencier zu spielen.“

Deshalb sind in Greys Schau keine Berliner Ansichten ausgestellt. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1986 zeigt Frida Kahlos Atelier in Mexiko, ohne Frida Kahlo. Auf anderen Bildern sieht man eine bizarre Plastik-Skulptur, die im Fenster eines abgewohnten Prager Hauses steht. Oder Greys Großmutter im Porträt, und im rechten oberen Bildwinkel über ihr thront der Künstler Joseph Beuys wie eine Ikone.

„Pictures I had to take“ heißt die Auswahl – wie auch der Bildband, der zu Greys erster Ausstellung in der New Yorker Stanley Wise Gallery im vergangenen Jahr erschien. Der Titel steht für die „künstlerische Ambitionslosigkeit“, mit der Grey diese Aufnahmen gemacht hat. Sagt Grey. Demnach war er 1986 unter anderem auf einer Reise durch Mexiko, auf der er mit einer alten Leica vieles fotografierte, was ihn beeindruckte. „Ich habe die Bilder in einer Drogerie um die Ecke zum Entwickeln gebracht und sie ziemlich lange in einer Kiste aufgehoben.“ Irgendwann habe er sie ein paar Künstler-Freunden gezeigt. „Was machst du damit?“ – „Nix, ich bin Schauspieler.“ – „Quatsch, du bist jetzt auch Fotograf.“ Der Verlag habe das auch so gesehen. So geht die Geschichte.

Vielleicht war es ganz anders, vielleicht ist das ganz egal. Denn es stimmt, dass viele dieser Bilder deshalb wirken, weil sie wie im Vorbeigehen aus der Zeit herausgelöst scheinen. Kleine, unscheinbare Momente. Joel Grey sagt, dass ihn „die Schönheit der Vergangenheit“ interessiere. Und das ist Berlins Chance auf einen Platz in Joel Greys zweiter Karriere. Er hat seine alte Kamera mitgebracht und will die Zeit nutzen, die zwischen einer Hand voll Terminen in den nächsten Tagen bleibt – um sich durch die Straßen treiben zu lassen und seine Wahrnehmungen festzuhalten.

Ausstellung „Pictures I had to take“ ab Donnerstag, 19 Uhr, im Café Einstein, Unter den Linden. Bis 21. Dezember tägl. 10 bis 20 Uhr. Am Sonnabend sieht Joel Grey als Ehrengast der American Academy die „Cabaret“-Aufführung in der „Bar jeder Vernunft“ (Siehe Bericht auf Seite 27).

Marc Neller

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