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West-Highland-Terrier.

© dpa

Espiners Berlin: Brits go home!

Von Angesicht zu Angesicht: Nach seinem Besuch im Wahllokal zur Europawahl wird Mark Espiner auf dem Spielplatz mit Intoleranz gegenüber der englischen Sprache (und ihren Sprechern) konfrontiert.

Wählen zu gehen vermittelt wirklich das Gefühl, Teil einer Sache zu sein, dazu zu gehören. So dachte ich jedenfalls letzten Sonntag, auf dem Weg zum Wahllokal und damit zur Stimmabgabe anlässlich der Europawahlen und der Volksabstimmung zum Tempelhofer Feld. Da ahnte ich noch nicht, wie hässlich bestimmte Situationen geraten können. Und wie schnell.

Ich habe Ihnen ja schon ein paar meiner Gedanken zum Thema Wählen mitgeteilt – und meine Frustration darüber, selbst nicht über eine öffentliche Fläche in der Stadt mitentscheiden zu dürfen, in der ich lebe und meine Steuern zahle. Als ich dann in der kleinen Kabine saß, bereit mein Kreuzchen zu machen, musste ich erst einmal diese endlos lange Liste an Parteien auf mich wirken lassen, die mir Deutschland zur Entscheidungsfindung anbot. Da gab es die Kommunisten und die Marxistisch-Leninistischen – vielleicht eine Art Rückkehrer ins Jahr 1968? Und die Piraten, die so aussahen, als wären sie in den Sonnenuntergang gesegelt. Dann war da die Familienpartei – sicherlich inklusive Zankereien und hitzigen Diskussionen über Nichtigkeiten, welche am nächsten Tag schon wieder vergessen waren. Und die Bayernpartei. Wofür stand die nochmal: BMWs und Weißwurst? Oder Weißbier und schwer verständliche Dialekte? Von Berlin war hier wohl eher weniger Zuspruch zu erwarten, ganz im Gegensatz zur Tierschutzpartei, die wahrscheinlich ein gutes Ergebnis erzielte – zumindest wenn man nach der Anzahl der Hundebesitzer gehen mag. Meine das nur ich, oder hat sich die Zahl der Hunde in Berlin vervielfacht, vorallem die der kleinen Hunde, die so aussehen wie ein Mopp?

Die ganze Vielfalt gab mir ein gutes Gefühl. Der Wahlzettel war wirklich bunt gemischt, sehr unterschiedlich und lebendig, ganz so wie meine neue Nachbarschaft in Moabit (ja, ich habe den Alexanderplatz hinter mir gelassen und bin über den Geist der Mauer in den Westen gehüpft). Die weniger genießbaren Parteien habe ich nicht beachtet, ich habe sie dummerweise als irrelevant angesehen.

"Ich lebe hier schon länger"

Glücklich darüber, meine Pflicht als Bürger erfüllt zu haben, ging ich mit meiner Tochter zu einem nahegelegenen Moabiter Spielplatz. Die Spielplätze hier erinnern mich manchmal an die amerikanischen Folgen der Sesame Street aus den 70er Jahren: Kinder aus verschiedenen Kulturkreisen, manche verkaufen ihre selbstgemachte Limonade, andere bieten ihre alten Spielsachen in einem spontan arrangiertem Flohmarkt an. An diesem Sonntag war es jedoch ziemlich leer dort.

Während meine Tochter schaukelte und ich auf der Bank saß und die Abendsonne genoss, kam ein großer, „gutbürgerlicher‟ Deutscher mit seinem Kind und seinem Hund auf den Spielplatz. Er fand es wirklich spaßig, seinem Hund beizubringen, auf der Rutsche auf und ab zu rennen. Für meine Tochter war das weniger lustig, da sie vor einem Jahr auf dem Alexanderplatz ziemlich schlimm von einem Hund gebissen wurde. „Hunde dürfen hier nicht sein‟, rief sie etwas verängstigt und sprang von der Schaukel. Immer noch getragen von meinem positiven Wahlerlebnis, war ich in dem Glauben, dass ich hier auch gleich eine staatsbürgerliche Pflicht ausführen sollte.

„Entschuldigung, aber Hunde sind auf dem Spielplatz hier nicht erlaubt‟, sagte ich in meinem besten, dennoch ziemlich stockendem Deutsch.

„Ich weiß. Aber ich wohne hier‟, sagte der Mann zornig und als ob das irgendeine Rechtfertigung wäre.

„Ich auch‟, antwortete ich fast reflexartig.

„Ja, aber ich lebe hier schon länger‟, antwortete er, in der Meinung, er hätte damit gewonnen.

„Wie wissen sie das?‟, gab ich ihm zurück. Und weil ich in diesem ganzen Schusswechsel die deutschen Worte für „the sign says No Dogs Allowed‟ vergessen hatte, sagte ich dies dann einfach auf Englisch.

„Ich verstehe kein Englisch‟, sagte er wütend. „Du solltest Deutsch lernen!‟

Berechtigte Anmerkung, dachte ich. Und ich habe es ja auch schon versucht. Aber es ist schwerer als ich gedacht hätte, bei 12 verschiedenen Wörtern für „the‟ und der verbreiteten Wörterzusammenfügungsvorliebe, so wie es einem Spaß macht, deren Beispiele dann in keinem Wörterbuch zu finden sind.

"Geh zurück nach England. Geh zurück nach England. Geh doch heim nach England."

Nichtsdestotrotz antwortete ich ihm wieder in meinem mäßigen Deutsch: „Egal. Können Sie bitte Ihren Hund hinausbringen, meine Tochter wurde schon mal gebissen und hat Angst vor Hunden‟. Ich wollte noch hinzufügen, dass Hunde und deren Würmer und Kacke und Pisse nicht zu im Sand spielenden Kindern passen. Aber bevor ich das loswerden konnte, sagte er, er würde mein Deutsch nicht verstehen. Und dass ich doch zurück nach England gehen sollte.

Ich drehte mich um und ging. Aber nicht mit dem Ziel England vor Augen, sondern um ihm und seiner Ignoranz den Rücken zu kehren. Währenddessen sagte er es immer und immer wieder. "Geh zurück nach England. Geh zurück nach England. Geh doch heim nach England."

Mark Espiner won't go home. Instead he is going to write more pieces for his column "Espiner's Berlin", he promised.
Mark Espiner won't go home. Instead he is going to write more pieces for his column "Espiner's Berlin", he promised.

© Photo: Thilo Rückeis

Ich musste also wieder zurück auf den Spielplatz und sah ihm direkt in die Augen. Ich wollte ihm sagen, von Angesicht zu Angesicht, dass ich ein Nachbar und kein Fremder bin.

Seitdem habe ich dieses Erlebnis verschiedenen Leuten erzählt und die Reaktionen darauf waren wirklich interessant, da sie von „Nun, das ist was du erwarten kannst, wenn du Englisch sprichst‟ bis zu „Ja natürlich, Englisch sprechende Leute sind mittlerweile zum Hassbild geworden, weil sie die Stadt von einer Utopie hin zu einer kapitalistischen Hauptstadt verändern‟ reichten.

Abgesehen davon, dass ich bestimmt nur einen kleinen Prozentsatz dessen verspürte, was in anderen Menschen als Empfänger von echtem Rassismus vorgeht, hat dieser Vorfall doch ein merklich seltsames Gefühl bei mir hinterlassen, als die Ergebnisse der EU-Wahl eintrudelten. UKIP in Großbritannien, die Front National in Frankreich und die für mich zumindest erstaunliche Nachricht, dass Rassismus in Großbritannien auf dem Vormarsch sei. Jetzt, mehr denn je, brauchen wir den Europagedanken, dachte ich. Er ist ein Ideal der Toleranz, des Teilens und Verstehens – und hilft, die „Anderen‟ als weniger fremd anzusehen.

Und wenn wir schon beim Thema Toleranz sind, vielleicht sollte ich meine auf Hunde ausweiten. Ich versuche schon, sie zu tolerieren. Es fällt mir schwer, aber ich versuche es – sogar den Hund, den mein Anti-Engländer-Freund dabei hatte und der zufälligerweise ein West Highland White Terrier ist. Die Schotten scheinen ihn offensichtlich nicht zu stören.

Sie können Mark Espiner eine Email an mark@espiner.com schicken oder ihm auf twitter @deutschmarkuk folgen. 

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