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Berlin: Fahren auf Verschleiß

Mitarbeiter: Chaos bei der Bahn nach Stellwerksdefekt war vorhersehbar, weil bei der Wartung von Anlagen gespart wird

Für Zehntausende von Fahrgästen war es ein Horror: Nach einem Schmorbrand in einem Stellwerk war der Zugverkehr im Osten der Stadt am Donnerstag stundenlang unterbrochen. Aus sieben Zügen, die auf freier Strecke stecken geblieben waren, wurden Fahrgäste zum Teil erst nach mehr als eineinhalb Stunden befreit. So lange mussten sie ohne Heizung und ohne Toilette ausharren. Und das Chaos kann sich nach Angaben von Bahnmitarbeitern bald wiederholen.

Um Kosten zu sparen, investiere die Bahn nur noch das „Allernötigste“. Darunter leide auch die Wartung der alten, im Netz noch vorhandenen Anlagen, heißt es intern bei der Bahn AG. Der Ausfall eines Stellwerks mit diesen Folgen sei seit mehr als einem Jahr vorhersehbar gewesen. Zuständig dafür ist der Bereich Netz der Bahn AG. Die Bahn weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sie als „populistische Äußerungen des Betriebsrats“.

Ein Sprecher bestätigte allerdings, dass sich die Wartungsfristen in vielen Bereichen verlängert haben. Zudem habe sich der „Bedienbereich“ zum Teil erheblich erweitert. Konnten früher kleinere Störungen noch vom Fachpersonal an Ort und Stelle beseitigt werden, muss heute extra ein Reparaturtrupp herbeigerufen werden.

In der Vergangenheit sind die mechanischen Stellwerke in festgelegten Abständen in fast alle Einzelteile zerlegt und überprüft worden. Teile, die die Norm nicht mehr erfüllten, wurden ausgewechselt, auch wenn sie noch funktionierten. Verantwortlich waren fest eingeteilte „Signalwerker“, die „ihr“ Stellwerk – mit allen spezifischen Macken – bestens kannten.

Heute gebe es, so heißt es bei den Mitarbeitern, so gut wie keine vorsorgliche Pflege und Wartung mehr. Gehandelt werde nur noch bei aktuellen Störungen. Und diese häuften sich in einem nie gekannten Ausmaß. Vor vier Wochen habe es etwa im Stellwerk Mahlsdorf innerhalb von wenigen Tagen rund 20 Störungen unterschiedlichster Art gegeben.

Weil die Bahn inzwischen auch darauf verzichte, Ersatz- und Verschleißteile zu lagern, könne es mitunter Tage oder gar Wochen dauern, bis ein Defekt behoben werden kann – wie kürzlich nach einer Schrankenstörung an der Buckower Chaussee in Lichtenrade. Und oft bestelle man auch gar keine Neuware, sondern baue alte Teile irgendwo anders aus.

Die Bahn will in die alte Stellwerkstechnik nichts mehr investieren, weil die Anlagen durch elektronische Stellwerke ersetzt werden sollen. Ein großer Teil des Netzes bei der S-Bahn ist bereits umgestellt. So spart die Bahn Personal. Ein Mitarbeiter überwacht in der Zentrale dann einen riesigen Streckenabschnitt – auf der Wannseebahn etwa von Nikolassee bis zum Bahnhof Friedrichstraße; von Mai an sogar bis Nordbahnhof.

Kommt es in den neuen Anlagen zu einem größeren Defekt, ist meist der gesamte Regelungsbereich betroffen. Eine Schwachstelle seien die Klimaanlagen für die Rechner, heißt es. Ein Mitarbeiter kann bei einer Störung den Betrieb nicht mehr allein steuern. In solchen Fällen würden flexibel zusätzliche Mitarbeiter eingesetzt, so der Bahnsprecher.

Gespart wird nach Angaben von Mitarbeitern auch bei der Wartung der Züge. Die Zahl der Störungen sei dadurch bei der S-Bahn um rund ein Drittel gestiegen.

Auch die BVG musste bereits vor drei Jahren nach einer Pannenserie bei der U-Bahn zugeben, dass in vielen Bereichen „auf Verschleiß“ gefahren werde.

Die Fahrpreise aber steigen weiter.

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