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Fahrradleichen in Berlin.

© ddp

Fahrräder in Berlin: Ausgesetzt am Laternenpfahl

Tausende von Fahrradleichen rosten in Berlin vor sich hin. Die meisten von ihnen werden verschrottet – oder wieder aufgemöbelt.

Sie rosten vor sich hin und zerfallen in ihre Einzelteile. Die Räder der „Fahrradleichen“ sind abmontiert, die Bremsen kaputt, der Sattel geklaut. An Laternenpfählen lehnen die herrenlosen Räder oder an Bäumen; sie belegen Radabstellplätze oder blockieren den Bürgersteig. "Die meisten Fahrradleichen gibt es in den Bezirken, in denen das Fahrrad am häufigsten genutzt wird", sagt Arvid Krenz, der Fahrradbeauftragte des Senats. Vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg also, in Pankow und Neukölln. Tatsächlich belegt Neukölln den Spitzenplatz in Berlin. 2650 Schrottfahrräder wurden dort im Jahr 2010 von der BSR abgeholt, heißt es im Ordnungsamt. Mehr Schrottfahrräder hat kein Bezirk, das liegt auch daran, dass das Ordnungsamt dort ein besonderes Auge darauf hat.

Fällt Mitarbeitern des Ordnungsamtes ein Schrottfahrrad auf, prüfen sie zunächst anhand der Rahmennummer, ob das Rad gestohlen worden ist. Ist das nicht der Fall, fotografieren sie es und versehen es mit einem gelben Aufkleber. Darauf steht, dass der Besitzer 14 Tage Zeit hat, sein Rad abzuholen. Verstreicht die Frist ungenutzt, ist das gleichbedeutend mit einem Verzicht auf das Eigentum. Dann wandert das Rad ins Fundbüro oder die BSR rückt mit ihren Müllwagen an und es geht ab in die Schrottpresse.

Dennoch sei es ein schmaler Grat, auf dem die Bezirke wandeln, warnt Jens-Holger Kirchner (Grüne), der Ordnungsstadtrat von Pankow. "Nur weil jemand acht Wochen im Urlaub sei und vergessen habe, sein Fahrrad wegzuräumen, könne man nicht sein Eigentum verschrotten." In Pankow wartet das Ordnungsamt vier Wochen, ehe die BSR eingeschaltet wird. Außerdem werden nur Fahrräder markiert, die vollkommen funktionsuntüchtig sind. Möglicherweise ist auch deshalb die Zahl der Fahrradleichen in Pankow gesunken, von 500 Rädern im Jahr 2005 auf lediglich 200 im Jahr 2010.

Für die Verschrottung der Räder bezahlen die Bezirke nichts, die Entsorgung fällt unter das Abfallgesetz. "Die Leichen werden behandelt wie normaler Eisenschrott", sagt Sabine Thümler von der BSR. Die Stadtreinigung bekommt die Räder entweder von den Bezirken oder vom Wasser- und Schifffahrtsamt. Jedes Frühjahr zieht das Schiff "Waschbär" rund 300 Fahrradleichen aus Spree oder Landwehrkanal. Die BSR verschrottet die Räder allerdings nicht selber, sondern verkauft sie weiter an Schrotthändler. An Privatkunden zahlen Altmetallhändler etwa 15 bis 17 Cent pro Kilo für Rahmen, Speichen und Lenker. Wie viel die BSR mit dem Verkauf einnimmt, will Thümler nicht verraten. Nur so viel: "Der Aufwand ist in jedem Fall größer als der Ertrag."

Einige Bezirke sind daher erfinderisch geworden: Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg kooperieren seit 2010 mit gemeinnützigen Vereinen, die die Räder wieder reparieren und sie etwa Schülern zur Verfügung stellen. In Lichtenberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz macht man so etwas schon länger. Jedes Jahr spenden sie rund 300 Räder an die Lankwitzer Werkstätten. 45 psychisch behinderte Menschen erwecken die Fahrradleichen dort zu neuem Leben. "Wir machen das so gründlich, das könnte eine normale Werkstatt gar nicht leisten", sagt Pawel Glozynski. Er leitet die Fahrradabteilung der Werkstätten seit zehn Jahren. "Anschließend verkaufen wir die Räder in unserem Geschäft." Der Erlös fließt direkt in das gemeinnützige Projekt, das den behinderten Mitarbeitern hilft, sich beruflich zu rehabilitieren. In Pankow bestehe eine solche Kooperation noch nicht, sagt Stadtrat Kirchner. Einmal hätte der Bezirk allerdings einem Künstler Schrotträder geschenkt. Er wollte sie aufeinandertürmen und eine Installation daraus bauen, eine Skulptur aus Fahrradleichen.

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