zum Hauptinhalt
Im Hetzjagd-Prozess erhielt der Hauptangeklagte Ali T. (Mitte) am Donnerstag zwei Jahre Haft auf Bewährung. Er hatte den 23-jährigen Giuseppe Marcone am 17. September 2011 am U-Bahnhof Kaiserdamm beschimpft und geschlagen. Marcone rannte davon – und lief vor ein Auto.

© dapd

Fall Giuseppe M.: Staatsanwälte gehen in Revision

Ein junger Mann wird in den Tod gehetzt. Der Schläger erhält Bewährung. Dieses Urteil halten die Staatsanwälte für nicht akzeptabel. Und sie sind nicht die einzigen.

Den Staatsanwälten ging es wie vielen Bürgern: Sie wollen nicht akzeptieren, dass der Prozess zum Tod von Giuseppe Marcone mit Bewährungsstrafen für die beiden Angeklagten endet. Am Donnerstag war der Hauptangeklagte Ali T. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden, der Mitangeklagte Baris B. hatte eine Bewährungsstrafe von vier Monaten erhalten. Am Freitag begründete die Staatsanwaltschaft ihren Revisionsantrag mit der Höhe der Strafen.

Dass Ali T. wegen des Angriffs auf Giuseppe Marcone ins Gefängnis gehört, hätten nicht nur viele Zuschauer im Verfahren für gerecht und angemessen gehalten. Der 21 Jahre alte Mann hatte den 23 Jahre alten Giuseppe M. in einer Septembernacht auf dem U-Bahnhof Kaiserdamm erst angepöbelt, dann geschlagen und bedroht. Marcone floh aus dem U-Bahnhof, lief über den Kaiserdamm, wurde von einem Auto erfasst und gegen einen Laternenmast geschleudert. Der Vorsitzende Richter wollte in der Urteilsbegründung dennoch nicht von einer „Hetzjagd“ sprechen, die zu Marcones Tod führte. Die Schuld des Angeklagten liege im „unteren Bereich“, stellte er fest. Und mutmaßte, dass Marcone noch leben könnte, hätte er einen anderen Weg über den Kaiserdamm genommen oder wäre langsamer gelaufen.

Bewährung für den U-Bahn-Schläger Ali T., der wegen räuberischer Erpressung 2008 eine Woche im Jugendarrest verbracht hatte – und dann noch Mitverantwortung des Opfers für den eigenen Tod: Das empörte Zuschauer im Gerichtssaal wie auch Bürger, die den Ausgang des Verfahrens im Internet kommentierten. Unverständlich sei das Urteil, meinen viele. Erschreckend sei es, wenn jemand einen anderen bedrohe, dieser auf der Flucht ums Leben komme – und solches Handeln nur mit einer Bewährungsstrafe geahndet werde. Auf der Internetseite „Giuseppe Marcone“, die von der Familie des Opfers eingerichtet worden ist, kommentierte jemand, das Urteil sei „eine Schande“.

Giuseppe Marcone starb, als er versuchte, sich vor Ali T. in Sicherheit zu bringen.
Giuseppe Marcone starb, als er versuchte, sich vor Ali T. in Sicherheit zu bringen.

© privat

Auch einige Politiker ließen erkennen, dass sie den Richterspruch befremdlich finden. Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, äußerte Verständnis für einen Verwandten des getöteten Giuseppe, der das Urteil am Donnerstag kritisiert hatte. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) wies darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus Revision gegen das Urteil eingelegt hatte.

Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Humboldt-Universität, erklärt das Urteil mit zwei Faktoren, die nur schwer zusammenzubringen sind. Der Bundesgerichtshof (BGH) erwarte: Wenn jemand „getrieben von Schlägen“ zu Tode komme, sei eine Körperverletzung mit Todesfolge zu beurteilen, nicht aber eine fahrlässige Tötung. Die Körperverletzung mit Todesfolge sei vom Strafmaß her das Delikt, das höhere Strafen zur Folge haben könne als die fahrlässige Tötung – nämlich mindestens drei Jahre Gefängnis.

Heger vermutet aber, dass das Gericht Bewährungsstrafen verhängen wollte – vielleicht deshalb, weil es einen gerade volljährigen jungen Mann nicht für Jahre ins Gefängnis schicken wollte. Womöglich sah das Gericht das Geschehen in der Septembernacht eher als fahrlässige Tötung an, glaubte aber, dass der BGH dies nicht akzeptieren würde. Um also den Vorgaben des BGH gemäß zu urteilen, aber dennoch eine Bewährungsstrafe aussprechen zu können, bewertete das Gericht die Schuld des Verfolgers im unteren Bereich und sprach die Mitverantwortung des Opfers für den Ausgang des Geschehens an.

Spätestens an diesem Punkt können viele dem juristischen Gedankengang nur mit Mühen folgen. Der Strafrechtsprofessor Heger erklärt es so: Dass der eigene Tod „maßgeblich durch das Opfer mitverursacht wurde“, sei Voraussetzung für eine Verurteilung in einem „minder schweren Fall“. Damit werde eine Bewährungsstrafe möglich.

Urteile, in denen eine „Hetzjagd“ zu bewerten ist, haben den BGH häufiger beschäftigt. Bei der „Hetzjagd“ von Guben war 1999 ein Algerier beim Sturz in eine Glastür verblutet. Damals erkannte der BGH nicht auf fahrlässige Tötung, sondern auf Körperverletzung mit Todesfolge. Drei der elf Angeklagten kamen damals nicht mit Bewährungsstrafen davon.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false