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Da guckst du. Mehr als 300 Bauarbeiter sind dabei, die einstige Paradestrecke für das Autorennen der „Formula E“ fit zu machen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Formel E in Berlin: Da braust sich was zusammen

„Wozu?“ steht auf einem Betonklotz an der Karl-Marx-Allee. Die Aufbauten für die Formel E haben begonnen, die Anwohner sind jetzt schon genervt. Ein Spaziergang entlang der Rennstrecke.

Der Frühlingsfreund ist voller Lob, wenn ihm die Melodien der Singvögel entgegenschlagen – gerade hier, beim Brausen des Verkehrs im neuen Teil der Karl-Marx-Allee. Das satte Blattgrün der Bäume auf der Wiese zwischen den Wohnhäusern und der Straße verschluckt den Autolärm, aber nun kommt ganz anderes akustisches Ungemach hinzu: Trucks, so hoch wie eine Gartenlaube und so lang, dass es länger nicht mehr geht, entladen auf der Straßenmitte schockweise Betonquader und Fangzäune, daneben scheppert es, wenn stählerne Tribünentraversen übereinandergeschichtet werden. Genau an der Stelle, wo sich stets am 1. Mai oder am 7. Oktober, dem Gründungstag der DDR, die Staatsspitze versammelte und stundenlang ihrem marschierenden Volk zurückwinkte, genau hier, links neben dem Kino International, nimmt eine neue Tribüne Gestalt an, diesmal fürs Volk und seine Spiele.

Mehr als 300 Bauarbeiter sind dabei, die einstige Paradestrecke für das am nächsten Samstag geplante Autorennen der „Formula E“ – also die erste vollelektrische Einsitzer-Rennserie der Welt – fitzumachen. Dazu gehört das Erneuern ganzer Abschnitte der Strecke mit einem frischen Teerbelag. „Wat det kostet!?“ ruft ein Anwohner als Antwort auf die Frage, wie er das gewaltige Unterfangen vor seiner Haustür beurteilt. Manche bemängeln, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden und aus dem nahen Rathaus überhaupt keine Ankündigung kam. Kunststück – der Bezirk Mitte war gegen das Rennen mitten in der Stadt, der Senat war dafür, und der lokale Veranstalter, die Gil und Weingärtner GmbH, beruhigt: Das Spektakel samt Aufbauten koste die Stadt und den Steuerzahler keinen Cent. Das ist wenig tröstlich für Fußgänger und Radfahrer, die vor Zäunen und Barrieren kapitulieren – und den Gästen des Kino International und des Alberts, der früheren Mocca-Milch-Eis-Bar, fehlen die Parkplätze.

„Neue Mauerteile?“

Ansonsten ist Volkes Stimme geteilt und schwankt zwischen einem Wort mit sieben Buchstaben, das man ungern druckt, und spontaner Begeisterung: „Voriges Jahr startete das Rennen auf dem Tempelhofer Feld, wer dabei war, kommt bestimmt wieder und bringt die ganze Familie mit. Einmalig, so etwas passt zu Berlin. Richtig geil!“ sagt ein Senatsangestellter, der hier wohnt. Ein anderer Mann meint: „Früher ließ sich Honecker feiern, jetzt fahren hier Autos zum Wohle und Vergnügen des Volkes.“ Der Sprüche-Sprayer war auch schon da: „Wozu?“ steht auf einem Betonklotz, ein anderer fragt pfiffig: „Neue Mauerteile?“ Det is nu wieda Berlin.

Und ein Spektakel allemal. 42 Runden vom Alex bis zum Strausberger Platz, gute zwei Kilometer hin und zurück, mehr als 14 000 Zuschauer, neun Teams mit 18 Autos, Beschleunigung von 0 bis 100 km/h in drei Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 225 km/h, jeder Flitzer flitzt mit 80 dB, in der Formel 1 heult es bis zu 145 Dezibel, das ist so laut wie ein Düsenjäger, lauter als ein Presslufthammer. Dafür hundert Prozent elektrisch. Werbung fürs mobile Elektroauto.

Freies Training, Qualifying und Rennen finden an einem Tage statt. Das eigentliche Rennen am Nachmittag dauert eine Stunde. Dann zieht der Zirkus weiter, rund ums International wird abgebaut, Singvögel und Radfahrer dürfen wieder jubilieren.

Die Häuser stehen unter Denkmalschutz

Die Häuser an der Rennstrecke haben ja ihre eigene, manchmal seltsame Geschichte. Am Rand des Alexanderplatzes verkümmert und verlottert das einstige Haus der Statistik. Leere Fensterhöhlen, blätternder Putz. Ein Schandfleck am prominenten Platz. „Das Haus der Statistik muss entwickelt werden“, sagt Martin Pallgen als Pressesprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Hm. „Wir unterstützen den Vorschlag, dort einen dringend benötigten Behördenstandort für den Bezirk Mitte einzurichten. Das Haus ist aber groß genug, um dort zusätzlich Konzepte umzusetzen, wie sie von Künstlerseite gefordert werden. Das Haus gehört dem Bund, die Finanzverwaltung verhandelt zurzeit über den Ankauf.“ Das kann dauern.

Vielleicht ist das Haus des Lehrers mit seiner Kongresshalle ein Vorbild, wie man Altes erhält und neu belebt. Oder das Rathaus Mitte, einst das erste Interhotel Berlins, das „Berolina“. Davor steht das „International“. In dem Kino vereinten festliche DEFA-Filmpremieren die cineastische High Society der DDR, am 9. November 1989 wunderten sich die Premierengäste von „Coming out“ beim Blick auf die Allee, wieso sich so viele Leute mit und ohne Auto Richtung Westen bewegten. Großes Kino! Gegenüber, im Café Moskau, traf man sich zum Tanz in der Kellerbar und zu Speis und Trank. Heute ist das Haus verschlossen, es wird von einer GmbH als multifunktionale Tagungs- und Eventlocation geführt. Aber der Sputnik über dem Eingang ist noch (oder wieder) da. Dafür sorgt der Denkmalschutz.

Eigentlicher „Eingang“ zum Strausberger Platz und zum alten Teil der Karl-Marx-Allee, die bis zum 13. November 1961 Stalinallee hieß, sind zwei Hochhäuser. Rechts, vom Alex aus, das Haus des Kindes, mit Goethe über dem Eingang: „Solch ein Gewimmel möcht ich sehen, auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.“ Und gegenüber, wo der Dichter Franz Fühmann wohnte und einst eine Tanzbar die Gegend belebte, verkündigt Bertolt Brecht über dem Eingang zum „Haus Berlin“: „Als wir aber dann beschlossen, endlich unsrer Kraft zu trauen und ein schönes Leben aufzubauen, haben Kampf und Müh uns nicht verdrossen.“ Jetzt ist hier eine Bank.

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