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Berlin: Freiheitsglocke: Kleinerer Klöppel, größerer Klang

Der Fahrer dreht den Zündschlüssel, eine kleine Wolke quillt aus dem Auspuffrohr des 160-Tonnen-Krans. Mit zwei Hebeln setzt der Mann die Seilwinde in Bewegung.

Der Fahrer dreht den Zündschlüssel, eine kleine Wolke quillt aus dem Auspuffrohr des 160-Tonnen-Krans. Mit zwei Hebeln setzt der Mann die Seilwinde in Bewegung. Für den Angestellten der Spedition Stoppel eine Fingerübung, mit der er die zehn Tonnen schwere Freiheitsglocke in Bewegung setzt - wenn auch eine, die höchste Konzentration verlangt.

Eben noch stand das Gusswerk aus Kupfer und Zinn auf dem John-F.-Kennedy-Platz, Schaulustige hatten die Gelegenheit, das historische Stück anzufassen. Nun schwebt es schon über den Köpfen der Polizisten, die die Gefahrenstelle absperren. Wenig später ist die Glocke auf dem Niveau des Rathausgiebels. Am Ziel, in 45 Meter Höhe, folgt Millimeterarbeit. Mit Hilfe des Einweisers, der mit dem Kranführer über Funk in Verbindung steht, wird die Last zwischen zwei Säulen in den Glockenturm bugsiert. Aus ihnen mussten Stücke herausgeschlagen werden, damit die Glocke hindurchpasst.

Es ist kurz nach 13 Uhr, die Schaulustigen vor dem Rathaus applaudieren - das Hochziehen war eine Sache von wenigen Minuten. Eine etwa 1000 Kilometer lange Reise des Berliner Freiheitssymbols ist zu Ende. Im vorigen Sommer hatte man sich entschieden, einen feinen, ein Meter langen Riss, der schon lange bekannt war, in einem Spezialbetrieb im bayerischen Nördlingen schweißen zu lassen. Es wurde befürchtet, dass die Glocke sonst auseinanderfällt. Mitte Januar wurde die Glocke demontiert. Seit gestern ist sie am alten Platz. "Wir freuen uns, dass sie wieder zurück ist" sagt die 88-jährige Schönebergerin Helena Daugs, die dabei war, als die Glocke im Oktober 1950 montiert wurde. "Wir haben das Läuten vermisst", sagt ihre Freundin.

Die eigentliche Arbeit beginnt oben im Turm. Rund um den neuen Glockenstuhl aus Holz liegen Bohrmaschinen, Winden, Gerüstteile und Kabel. Der alte aus Beton wurde abgetragen. Ein halbes Dutzend Arbeiter stapelt Bohlen zu einem Podest, auf das die Tonnenlast abgesetzt wird. Von dem Riss ist nichts mehr zu erkennen. Die reparierte Stelle zeichnet sich trotzdem ab - sie wird unter Patina verschwinden. Auf 600 Grad war die Glocke in Nördlingen erhitzt worden, bevor man sie schweißte. Rund 400 000 Mark kostet die ganze Reparaturaktion, die Hälfte der Summe spendeten Bürger und Firmen.

Die Arbeiter schieben schwere Schienen unter die Glocke. Auf "Panzerrollen" soll sie erst in die Mitte des Stuhles gezogen, mit einem speziellen Kranaufsatz dann auf den richtigen Platz gehoben werden. Die Arbeiter hofften, dass es mit dem Kran funktioniert. Sonst müssen sie die zehn Tonnnen mit Seilzügen hieven. Gestern Abend wollten sie außerdem noch Motoren, Seilzüge und Steuerung montieren.

Heute Mittag soll die Freiheitsglocke eingeläutet werden. Klaus Lelickens vom Schöneberger Hochbauamt erwartet ein "verbessertes Volumen". Unter dem Riss habe auch der Klang gelitten. Die Glocke hatte praktische einen "Sprung in der Schüssel". Erneuert wurde auch der Klöppel. Der alte hatte sich als zu groß erwiesen. Am kommenden Donnerstag, dem 10. Mai, soll die Freiheitsglocke offiziell wieder in Betrieb genommen. Um 12 Uhr wird sie dann wieder läuten wie eh und je. Zur Feier des Tages wird außerdem der altbekannte Freiheitsschwur aus den Lautsprechern des John-F.-Kennedy-Platzes erklingen, der früher zum Glockenläuten im Rias übertragen wurde: "Ich glaube an die Würde..."

Tobias Arbinger

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