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Berlin: Freischütz statt Freistoß

Es gibt tatsächlich Leute, die gestern im Theater waren

Die Theater sind froh, wenn der Fußball endlich seine Oberhoheit über die deutsche Freizeitgestaltung verliert. Unsere Bühnen beklagen fast unisono eine kleine WM-Delle. Gestern abend zum Beispiel: In der Staatsoper singen sie so bedeutende Sachen wie „Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen, hab mich lieb“, während der gemeine Fußballfreund im Parkett dem Ende der Lustigen Witwe entgegenschwitzt und am Schluss gegen 22 Uhr das Personal bestürmt: Wie steht’s? Auch in der Komischen Oper kommen sie ohne extemporierende Worte aus, wiewohl sich „Der Freischütz“ für einen kleinen Einschub eignen würde („Und gerade hat Klose ins Schwarze getroffen“). Denn klar ist, dass alle Techniker und Sänger, wann immer es geht, vor den Bildschirmen sitzen, es ist die Stunde der Inspizienten. Das Programm im „Distel“-Kabarett nennt sich Nullrunde, die Mimen waren wild entschlossen, den jeweiligen Stand der Dinge geschickt in ihre Nummern einzuflechten, das Kabarett hat es da gut, besser als die Schaubühne mit ihrem düsteren „Trauer muß Elektra tragen“. Dreieinhalb Stunden! Und dann hinaus auf den tobenden Kudamm. „Gejubelt wird bei uns immer“, heißt es im Theater am Kurfürstendamm, wo sich die fußballverrückten Comedian Harmonists gern um den Fernseher in der Pförtnerloge scharen.

„Ein unglücklicher Zufall“ war gestern in der UFA-Fabrik angesagt: Der künstlerischen Freiheit der Mitwirkenden – unter ihnen die frühere Miss Italia, Romina di Lella – blieb es überlassen, wie sie den Spielstand ins Programm einflechten. Wenn im Friedrichstadtpalast die „Glanzlichter“ verglühen, ist es 22.30 Uhr. Als Kundendienst wird von der Bühne der Spielstand verkündet. Der Wintergarten entrollt am Ende flugs eine Leinwand und überträgt das Spiel – eine Show löst die andere ab. Und die Großen? Das Berliner Ensemble, die Deutsche Oper oder das Deutsche Theater haben sich all dieser Sorgen entledigt. Sie machen Sommerpause.

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