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Berlin: Freispruch für Unterzeichner eines Appells gegen den Kosovo-Krieg

Eigentlich hatte er sich vor der Richterin erhoben, um seine Unterschrift zu rechtfertigen. Dann aber begann der Angeklagte zunächst einmal zu träumen.

Eigentlich hatte er sich vor der Richterin erhoben, um seine Unterschrift zu rechtfertigen. Dann aber begann der Angeklagte zunächst einmal zu träumen. Er wünsche sich, sagte Wilfried Kerntke im Amtsgericht Tiergarten, dass sein Prozess mit einem Freispruch ende. "Und zwar mit der Begründung, dass der Jugoslawien-Krieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war."

Soviel vorweg: Die Wünsche des 45-jährigen Beraters und Dozenten sollten nach drei Stunden tatsächlich in Erfüllung gehen - wenn auch nicht hundertprozentig. Die Staatsanwältin jedenfalls blieb bei ihrer Anklage. Sie wirft Kerntke vor, "durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich zur Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung" aufgerufen zu haben. Nun ist Dr. Kerntke nicht das, was man gemeinhin einen Verbrecher nennt. Der erklärte Kriegsgegner gehörte jedoch zu den 28 Erstunterzeichnern eines Appells an die Bundeswehr, der am 21. April - also mitten im Kosovo-Krieg - in der "taz" erschien. Darin werden "alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind", aufgefordert, ihre Einsatzbefehle zu verweigern, sich von der Truppe zu entfernen und sich gegen den Krieg aufzulehnen. Begründet wurde der Appell damit, dass es sich beim Kosovo-Krieg um einen völkerrechtswidrigen und somit grundgesetzwidrigen Angriff der NATO handele.

Die "taz" druckte die Anzeige inklusive der Namen aller Erstunterzeichner - darunter die Berliner Professoren Ekkehart Krippendorff, Wolf-Dieter Narr und Roland Roth sowie Wolfgang Kaleck vom Republikanischen Anwälteverein - und eben Dr. Wilfried Kerntke. "Ich war heilfroh, dass ich die Gelegenheit bekam, mich an dem Aufruf zu beteiligen", sagte der gelernte Verlagsbuchhändler am Donnerstag vor dem Amtsgericht. Ihn zu unterschreiben habe er als "bürgerliches Gebot" erachtet.

Weniger begeistert reagierten die Staatsanwälte in ganz Deutschland und beantragten etliche Strafbefehle. Gegen Kerntke und seine Mitstreiter wurden Strafbefehle von 3000 bis 5000 Mark erlassen; sie legten Einspruch ein. "Wir sehen den Prozessen optimistisch entgegen", hatte Wolfgang Kaleck vor Wochen verkündet. "Wenn ein Krieg nationalem und internationalem Recht widerspricht, sind deutsche Soldaten nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, den Dienst an der Waffe zu verweigern."

Und weil Wilfried Kerntke der erste Unterzeichner war, der sich den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft stellen musste, schwappten die Auswirkungen der internationalen Politik gestern in den kleinen Saal des Amtsgerichts. Nach den Worten der Richterin handelte es sich allerdings um eine "unnötige Gerichtsverhandlung". Denn der Aufruf sei mit seiner stringenten Argumentation vom Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Die Richterin sprach Kerntke frei, verwehrte ihm aber einen Wunsch. "Ich werde nicht sagen, ob der Krieg rechtswidrig war oder nicht - ich weiß es auch gar nicht." Die Staatsanwaltschaft wird voraussichtlich Berufung einlegen. Außerdem sollen inzwischen auch gegen die "Zweitunterzeichner" und den presserechtlich Verantwortlichen der "taz" Ermittlungsverfahren laufen.

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