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Berlin: Friseur mit Schneid

Von Susanna Nieder Friseuren sagt man allgemein nach, dass sie gesprächig sind. Was den Unterhaltungswert angeht, liegt Civan Ucar aber selbst in seiner wortgewaltigen Zunft ganz vorne.

Von Susanna Nieder

Friseuren sagt man allgemein nach, dass sie gesprächig sind. Was den Unterhaltungswert angeht, liegt Civan Ucar aber selbst in seiner wortgewaltigen Zunft ganz vorne. „Ich rede ja gerne und sehr viel", sagt er treuherzig und legt los: über Modenschauen und seine Karriere, über die Zeit in London und Beverly Hills, über den Vater, der nur den Kopf schütteln kann, wenn sein Jüngster jammert, er habe den ganzen Tag Haare geschnitten, über den Umstand, dass er im Oktober zum ersten Mal selbst Vater wird. Dann wird er kürzer treten. Bestimmt!

Naja, die Ladenerweiterung steht an. Zwei Friseursalons hat er schon, den ersten seit 1998 in den Heckmann-Höfen, den zweiten seit anderthalb Jahren in der Albrechtstraße. Mittlerweile beschäftigt er 15 Angestellte, das werden demnächst noch ein paar mehr. Ehrlich gesagt, kann man sich schwer vorstellen, dass Civan jemals kürzer treten wird. Wo soll er denn dann mit seiner ganzen Energie hin? Bisher hat er einen Teil davon in die Berliner Modeszene gesteckt. Jahrelang machte er Haare und Make-up bei Modenschauen, 1999 organisierte er zum ersten Mal den Walk of Fashion. Innerhalb weniger Monaten stellte er die Show auf die Beine, und alles lief tadellos. Zum vierten Mal werden heute an die hundert Models im Gänsemarsch von den Heckmann-Höfen, Eingang Auguststraße, ein Mal ums Karree spazieren, durch Gips- und Rosenthaler- in die Oranienburger Straße, um dann vom dortigen Eingang her den kleinen Laufsteg in den Heckmann Höfen zu besteigen.

Wie immer sind acht Berliner Designer dabei. Nur das Label Clamotti war vor zwei Jahren schon ein Mal zu sehen; Stephan Griese, der mit Paltó am Ku’damm ansässig ist, präsentiert sich mit seiner neuen Linie P2, Sterling Gold zeigt einige seiner ausgefallenen Second-Hand-Roben, Nicole Groebel Variationen zum Thema Rock. Wie jedes Jahr gibt es auch einige neue n – Ibrahim Lopez ist erst vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen, Florinda Schnitzel trat letztes Jahr an die Öffentlichkeit, und die „schöngeschnürten Abendgarderoben“ der gelernten Kostümbildnerin Mane Lange hat man noch nicht zu Gesicht bekommen. Die Newcomerin des Jahres heißt Anne Wolf und studiert im fünften Semester an der FHTW.

Civan, ist ein Kind türkisch-arabischer Gastarbeiter. Als er zwei war, zog die Familie ins norddeutsche Delmenhorst, die Eltern schufteten schwer, um den fünf Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Civan sattelte auf den Hauptschulabschluss die Mittlere Reife, schwenkte auf dem Weg zum Fachabitur ins Friseurgewerbe ein und bekam seine Jobs, indem er persönlich vorsprach. So lief das in Bremen, in Berlin bei Udo Walz, in Beverly Hills am Rodeo Drive. Die kalifornische Künstlichkeit lag ihm nicht, da zog er lieber wieder nach Berlin, wo jeder sein darf, wie er will.

Kürzer treten oder nicht – den Walk wird Civan weiter organisieren. In Berlin, wo Modeveranstaltungen oft zum kreativen Chaos oder zur Großmannssucht neigen, hebt sich der sommerliche Modespaziergang durch Überschaubarkeit und Qualität hervor. „Ich würde mich freuen, wenn irgendwann über mich gesagt wird, ich habe dazu beigetragen, die Mode in Berlin zu fördern", sagt Civan. Und dann geht er Haare schneiden.

Walk of Fashion, 18 Uhr, Heckmann-Höfe, Oranienburger Straße (neben der Synagoge)

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