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Berlin: Frithjof Zimmermann (Geb. 1956)

Manchmal unterbrach er seinen Redefluss: "Lass mich doch mal ausreden".

Der Herd soll Hans-Christian Ströbele gehört haben. Ein Mythos. Frithjof hat oft davon erzählt, eigentlich immer wenn ihn jemand, der noch nie da gewesen war, in der Wohnung in der Winterfeldtstraße besuchte. „Dieser Herd soll Ströbele gehört haben“, sagte Frithjof. Und irgendwann: „Dieser Herd hat Ströbele gehört.“ Ein Mythos muss nicht wahr sein. Er soll erzählt werden, immer und immer wieder. Frithjof erzählte gern. Konnte reden, stundenlang, über die Bedingung einer Möglichkeit, die ihrerseits die Bedingung einer weiteren Möglichkeit ist. Manchmal unterbrach er seinen Redefluss: „Lass mich doch mal ausreden.“ Und sprach dann weiter.

In der Wohnung in der Winterfeldtstraße lebte er zusammen mit seinem Freund Udo. Udo redete wenig und betrachtete die Dinge pragmatischer. Die Freundschaft jedoch hielt. 1979 hatten sich die beiden während des Studiums der Landespflege in Dahlem, an der Fachhochschule kennen gelernt. Zusammen mit ihren damaligen Freundinnen reisten sie an die Nordsee, auf die Insel Elba, nach Österreich, in die Pyrenäen. Auf Elba, auf dem Weg zu ihrer Ferienwohnung, liefen sie täglich an Mülltonnen vorbei, um die die Katzen streiften, darunter ein besonders räudiger Kater. Frithjof begann eine Geschichte zu spinnen, über „Giancarlo“, der seine Familie mühselig von den Resten aus dem Müll ernährte und wusste, dass seine fette Katzenehefrau „Carlotta“ zu Hause mit dem Nudelholz auf ihn wartete, wenn er nicht genug mitbringen würde. Ständig dachte Frithjof sich Anekdoten aus. Er spielte mit der Sprache und benutzte nur selten vorgestanzte Ausdrücke. Ein dicker Busfahrer wurde zu „zwei Öltanks“, ein schreiendes Kind zu einem „Brüllwolf“. Im Auto hörten Frithjof und Udo „Neues aus Stenkelfeld“, satirische Alltagsgeschichten aus einer erfundene Gemeinde in Norddeutschland. Sie lachten dabei so sehr, dass das Auto einmal beinahe an die Leitplanke stieß. Manchmal aber wurde Frithjof weich, seine Freunde erschraken fast, kannten sie ihn doch eher lachend und spöttisch, in seiner Lederjacke, mit den wilden Gürteln, aus denen Stacheln staken. Bemerkte er, dass es jemandem nicht gut ging, fragte er zärtlich: „Wat los min Dirn?“ oder „Wat los min Jung?“

Im Beruf half Frithjof sein Talent zum Reden. Nach dem Studium arbeitete er in leitender Position für die Bundesgartenschau. Außerdem engagierte er sich in der Gewerkschaft, organisierte Informationsstände und Betriebsbesichtigungen, kümmerte sich um die Arbeit landwirtschaftlicher Betriebe in den neuen Bundesländern. Bildete junge Menschen aus, sprach über Gartenbautechnik und Gartengestaltung, über Stauden und Frühblüher. Er war Mitglied der SPD in Schöneberg, diskutierte in den Ortsversammlungen, klebte Wahlplakate. Wurde zum Schöffen am Arbeitsgericht berufen.

1997 stellte man einen Hirntumor fest. Die Behandlung schlug an. Dann aber traten epileptische Anfälle auf. Er musste in Frührente gehen, kam sich nutzlos vor. Zog sich aufs Land zurück, zu seiner Freundin nach Brandenburg. Nahm Gesangsunterricht bei einer japanischen Sängerin. Ging oft in die Kirche. Ab 2007 häuften sich die epileptischen Anfälle. Der Tumor wuchs wieder. Nach zwei Operationen war Frithjof halbseitig gelähmt, Zentren seines Gehirns fielen aus. Er wurde zum Pflegefall. Brachte kaum noch ein Wort heraus. Sein Bruder, seine Schwester, seine Freundin, sein Freund Udo hofften auf Besserung, bis klar war: Es wird nicht mehr besser.

Zwischen Frithjof und einer Freundin gab es ein Ritual. Am Ende eines Gespräches sagte sie: „Halt die Ohren steif.“ Und er erwiderte: „Wenigstens die.“ Eines Tages reagierte er nicht mehr.

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