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FÜNF  MINUTEN  STADT: Der gläserne Kunde

Werktags in einer Postfiliale in Friedrichshain. Ein Schalter ist besetzt.

Von Maris Hubschmid

Werktags in einer Postfiliale in Friedrichshain. Ein Schalter ist besetzt. Die Schlange der Kunden reicht bis weit vor den Eingang. Jetzt wird sie durch einen Mann mittleren Alters, schlank, dunkelblauer Anzug, geteilt. „Bitte mal beiseitetreten, die Herrschaften.“ In seinem Gefolge: drei Damen in hellblauen Blusen, offenbar Mitarbeiterinnen der Filiale. Prüfenden Blickes schreitet der Anführer durch den Raum. Vor einer Ansammlung von Rollkörben mit Terminplanern bleibt er stehen. „Viel zu eng!“, stellt er fest. Und nachdrücklich, an die Damen gewandt: „Die Masse überfordert den Kunden.“ Die Rollkörbe werden auseinandergezogen. Weiter wandert der Blick durch den Raum. Die Regalbelegung ist nach unten hin zu kleinteilig. „Reduzieren!“, befiehlt er den Damen. „Das Auge will ruhen.“ Und dann – „Dürfen wir nochmal?“ – schiebt er sich abermals durch die Schlange, hin zu zwei Aufstellern mit Glückwunschkarten. „Links ist ganz schlecht“, weiß er. „Der Kunde orientiert sich immer nach rechts.“ Wieder müssen die Wartenden Platz machen, damit die Ständer verschoben werden können. Da räuspert sich ein dicklicher Mann aus der Mitte der Schlange. Gedanke von mindestens zwei Personen im Raum: Endlich sagt einer, dass der Kunde vor allem bedient werden will. „Ihr Problem ist ein anderes“, erklärt der Mutige in der Schlange. „Sehen Sie sich doch zum Beispiel mal die bunten Ordner da an – voll Neunziger!“ Maris Hubschmid

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