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FÜNF  MINUTEN  STADT: Drecksstückchen

„Och nee, ein streitendes Pärchen!“ Denke ich noch, als ich an der Ampel zwischen Amerika-Gedenkbibliothek und U-Bahnhof Hallesches Tor vom Rad steige.

„Och nee, ein streitendes Pärchen!“ Denke ich noch, als ich an der Ampel zwischen Amerika-Gedenkbibliothek und U-Bahnhof Hallesches Tor vom Rad steige. Ein stämmiger Lockenkopf, blond, männlich, Ringelshirt, wendet sich da gerade kopfschüttelnd an die drahtige Frau neben sich, sie wie er: um die dreißig. Mit Fahrrädern. Passen zusammen, wirken auf den ersten Blick verärgert vertraut. „Das geht ja mal gar nicht!“, empört er sich. Sie ignoriert ihn, ihr Rad tapfer an ihrer Seite und den Kopf stur geradeaus haltend. Wir alle warten auf Grün, schweigen. Meinen ersten Eindruck revidiere ich. Zwei völlig Fremde haben sich vermutlich fast hingehauen beim konsequenten Nichtbeachten aller Umstehenden – und -fahrenden. Normales Großstadtverhalten. „Drecksstückchen!“, höre ich da, gemurmelt aber deutlich. Noch mal wiederholt die Drahtige die merkwürdige Verniedlichung, diesmal lauter, nun fixiert sie den Betitelten auf ihrer anderen Seite mit starrem Blick, es scheint eine voodooartige Zauberformel zu sein. Dann kurzer Schlagabtausch. Sie sei eine Gefahr für alle anderen, solle vorher mal nachdenken, rät er. „Na, das Denken funktioniert bei dir wohl gar nicht mehr“, attestiert sie ihm. Und dann, ganz sanft: „Aber ich wünsch es dir!“ Jetzt wäre der Zeitpunkt für Feuerzeuge und Schrammelschnulzen à la „Say you, say me“, jetzt müssten sie sich in die Arme fallen. Doch dann schaltet nur die Ampel auf Grün. Pauline Piskac

Pauline Piska

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